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Doping, aufgeblasene Menschen und Jobchancen

Autor: Dr. Robert Oberpeilsteiner

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Offenbar kannten sich auch Westärzte prächtig mit leistungssteigernden Mitteln aus, wie aus der aktuellen Doping-Studie hervorgeht. Legt alle Katen auf den Tisch, rät MT-Kolumnist Dr. Robert Oberpeilsteiner.

Heute geht’s um wirklich ungute Geschichten. Es geht um Doping, um Flatulenzen und, igitt, um die Barmer GEK. Und wir Ärzte sitzen dabei auch noch in der ersten Reihe. Denn endlich hat ein Sportmediziner ausgepackt. Erstmals seit Veröffentlichung der Dopingstudie West. Ein Orthopäde war’s, der jetzt die Gabe von Anabolika an Leistungssportler zugab. Vermutlich werden im Rahmen der Enthüllungen im Berliner Sommerloch weitere folgen. Na und? Was ist da eigentlich die Schlagzeile? Dass der Erste jetzt gesteht oder dass er erst jetzt auspackt?


Wir wissen von bandenmäßigem Anabolikahandel in Sportstudios; wir wissen von geständigen Profisportlern und seit Langem gibt es Belege über Verwicklungen der Ärzteschaft beim Doping im Leistungssport. Und mancher Mediziner, der enger mit dem Leistungssport verbunden ist als der gemeine Hausarzt, würde vermutlich ebenfalls gerne sein Herz ausschütten, aber er traut sich halt nicht an die Öffentlichkeit. Ja, vielleicht liegt die eigentliche Sensation darin, dass ein älterer Kollege den Mut hat, reinen Tisch zu machen.

»Effektives Doping hat den Westärzten niemand zugetraut«

Erinnern wir uns noch? Wie war denn die Atmosphäre in den Siebzigern? Jedenfalls nicht so investigativ wie sie heute gerne dargestellt wird. Harry Valerien, der über Doping berichtete, sagte einmal: „Das war kein Vergnügen, weil ich von meiner eigenen Mannschaft nicht unbedingt unterstützt wurde.“ In den Redaktionen saßen oft ehemalige Leistungssportler mit sehr viel Verständnis für leistungsfördernde Maßnahmen (so wie heute in Fernseh-Sportstudios). Gleichwohl gab es Berichte und Kommentare zu diesen Themen.


Hinzu kam, dass man sich einen verlässlich dopenden Westmediziner damals kaum vorstellen konnte. Meldungen, die nach außen drangen, hörten sich ja an, als kämen sie aus Doktor Frankensteins Labor. Zum Beispiel  Peter-Michael Kolbe, Weltmeister im Einer. Die Hamburger Ruderlegende war in die Fänge von westdeutschen Medizinexperten geraten, diese machten ihm ein Spritzlein, aufgepeppt mit Thioctsäure und Cocarboxylase, schmackhaft. Stand ja nicht auf der Dopingliste. Es sollte die Übersäuerung hinauszögern. Doch bewirkte sie offenbar das genaue Gegenteil. Nachhaltig. Kolbe ist nämlich heute noch sauer. Kann man versteh’n, wenn eine grandiose sportliche Lebensleistung reduziert wird auf einen chemischen Cocktail im Allerwertesten (vermute ich mal, da er sich nicht mehr erinnert, wohin er gepikst wurde).

»Kreative Leistingssteigerung mittels Luftklistier«


Oder nehmen wir die Schwimmer 1976. Der Deutsche Schwimm-Verband hatte 250 000 Mark beim Innenministerium beantragt – und erhalten – „für eine kreative Art zur Leistungssteigerung“ (sueddeutsche.de) mittels Luftklistier. Chapeau! Wohl selten wurde eine Flatulenzstudie so opulent gefördert. Dabei weiß doch jeder, der schon mal ein Schlauchboot aufgeblasen hat, dass die Luft „a Luada“ (bayr.) ist – auf hochdeutsch: unberechenbar. Jedenfalls ging ein Schuss nach dem andern nach hinten los und es hat nur noch gefehlt, dass der Fahrer des Mannschaftsbusses bei der Anfahrt zum Schwimmstadion „Something in the air“ auflegte.


Sollte man also diese sportwissenschaftliche Kleinkunstbühne West überhaupt ernst nehmen? „Die drüben“ konnten das doch viel besser! Viele verlangten nach Chancengleichheit! Von manchen wurde die Dopingfreigabe gefordert (und wird es noch). Nach dem Motto: Freies Doping für freie Sportler (und sensationshungrige Öffentlichkeit)! So oder so ähnlich hörte man es an den Stammtischen. Und nicht nur dort. Dass sich die öffentliche Meinung in der Zwischenzeit wesentlich verändert haben sollte – ich habe so meine Zweifel.

»Auspacken Kollegen! Es kostet nicht den Kopf«

Was also tun? Bereits 2007 hat Ärztepräsident Montgomery, damals noch Vize, sich für einen eigenen Doping-Paragrafen ausgesprochen. Er sollte jetzt weiter nachhaken. Damit in der Öffentlichkeit nicht die Meinung entsteht, diese Angelegenheit interessiere uns, wenn überhaupt, dann nur am Rande. Allzu schnell kommt sonst der Generalverdacht auf, Erfüllungsgehilfe eines Systems (gewesen) zu sein. Das ist das Letzte, was wir brauchen können. Das hatten wir schon mal. Daher darf man jetzt auch nicht mit den Finger auf jene zeigen, die gezwungen freiwillig aussagen. Es sollte alles auf den Tisch. Vor allem aber braucht man hierzulande als Dopingsünder schon lange keine Zukunftsängste mehr zu haben. Denn die üblichen Verdächtigen werden bei uns längst bestens integriert.


Zum Beispiel mithilfe der Barmer. Diese gönnt sich seit Jahren eine Vertragsrepräsentantin, die früher einmal sehr weit gesprungen ist. Dummerweise bewiesen Unterlagen vor Gericht, dass sie Dopingmittel geschluckt hatte (nachzulesen unter anderem bei Zeit-online). Wer sich für diese Geschichte ernsthaft interessiert, der fragt am besten direkt bei der Barmer nach. Die freuen sich mit Sicherheit.


Falls sich keiner auskennt, was in jedem Betrieb mal passieren kann, dann sagen Sie, die sollen bei den älteren Überweisungen nachschauen. Vielleicht läuft sie dort unter ihrer früheren Stasi-Bezeichnung „IM Jump“. Da werden Sie garantiert geholfen! Vielleicht bekommen Sie dann auch ein paar BEK-Bonuspunkte. Denn gesetzliche Krankenkassen können ja so großzügig sein. Das Geld dafür holen sie sich ja Monat für Monat von ihren Versicherten.


Und an euch alte Doping-Strategen, werte Kollegen, mein Rat: Macht aus euren Herzen nicht länger Mördergruben, raus mit der Sprache! Der Kopf wird euch schon nicht abgerissen. Und einen Vertrag bei der Barmer kriegt ihr allemal.

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