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Praxiskolumne „Dr. Gehring ist da“ – „Scheiße!“

Autor: Dr. Frauke Gehring

Trotz freier Arztwahl sollten alle respektvoll behandelt werden. Trotz freier Arztwahl sollten alle respektvoll behandelt werden. © iStock/Olga Strelnikova; MT
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Unsere Kolumnistin fragt sich, ob eine Behandlung bei ihr ein Super-GAU ist. Als sie eine Kollegin vertreten sollte, fand das eine Patientin nämlich gar nicht gut.

„Ich möchte gerne zu Frau Dr. X“, sagt die alte Dame an der Rezeption und wird enttäuscht: „Dr. X ist im Urlaub, aber Dr. Gehring ist da!“, teilt ihr die MFA freundlich mit. „Scheiße!“, ist die Antwort, so spontan laut ausgerufen von der kleinen, alten Frau, dass sich mehrere Wartende erschrocken umdrehen. Erschrocken bin auch ich, denn ich stehe nur ein wenig um die Ecke und habe alles genau mitbekommen. „Sie müssen keineswegs zu mir“, sage ich trocken (und zugegebenermaßen ein bisschen beleidigt), „wie Sie sehen, habe ich auch so alle Hände voll zu tun“.

„Warum mussten Sie das auch mitkriegen?“, klagt die Patientin, aber durch diese Peinlichkeit muss sie nun durch. Sie erklärt wortreich, dass sie keineswegs ein Problem mit mir habe, sie habe aber unbedingt etwas mit meiner Kollegin besprechen wollen, die nun aber leider nicht da sei. Das habe zu ihrem unhöflichen Ausbruch geführt. Nun, das mag so sein, aber damit ist die Sache für mich nicht unbedingt erledigt. Was denken bloß die Leute, die den Dialog mitbekommen haben und bisher nicht PatientInnen bei mir waren, mich also nicht kennen? Dass es so ein Super-GAU ist, von mir ein Behandlungsangebot zu kriegen, dass auch die niedlichsten alten Damen eine ordinäre Attacke erleiden? Ich verziehe mich ins nächs­te Sprechzimmer, um weiterzuarbeiten, als sei nichts gewesen. Später erklärt die MFA mir zwar, dass sich die Patientin noch eine ganze Weile mit verbaler Schadensbegrenzung aufgehalten habe, ich grolle aber trotzdem noch weiter. Ich kann einfach nicht anders.

Solche Geschichten twittere ich gern. Das ist meine kleine Psychotherapie, weil man da Zuspruch und Anekdoten anderer bekommt, die zeigen: Ich bin nicht allein. Eine Apothekerin berichtet über die herablassende Bemerkung einer Kundin: „Dann muss ich wohl mit Ihnen vorliebnehmen, wenn der Chef nicht da ist.“ Eine Kollegin erzählt, dass sie für jemanden gehalten wurde, der nur „zum Impfen aushilft“, obgleich sie schon seit über einem Jahr in dieser Praxis arbeitet und der Termin des Patienten auch bei ihr eingetragen war. Man wolle aber lieber „zum Chef“.

Wir nehmen die Wahlfreiheit unserer PatientInnen ausgesprochen ernst und würden nie auf die Idee kommen, sie irgendeiner Ärztin einfach zuzuschieben. Es wird immer gefragt, zu wem sie möchten. Ich verstehe auch, dass man enttäuscht ist, wenn die gewünschte Kollegin gerade dann nicht da ist, wenn man etwas mit ihr besprechen möchte. Es gibt ja auch keinen Urlaub, nach dem mir nicht gesagt wird: „Ausgerechnet jetzt waren Sie im Urlaub, als ich so krank geworden bin!“ (Und das gerne in vorwurfsvoller Tonlage.) Aber wenn es nun mal so ist, dann sollte es doch eine Selbstverständlichkeit sein, seine Enttäuschung nur zurückhaltend zu äußern und das „Ersatzangebot“ höflich abzulehnen!

Wenn jemand eine meiner MFA so behandeln würde, hätte das die klare Ansage zur Folge, dass ich diesen Tonfall in unserer Praxis nicht wünsche und man sich gerne eine andere suchen kann. Aber diesmal trifft es mich selbst und die Patientin ist alt. Also versuche ich, altersmilde alles auf eine subkortikale Enzephalopathie zu schieben und großzügig zu vergessen, was ich soeben hören musste. Ich zünde aber innerlich eine Kerze für alle Menschen an, die sich Beleidigungen aller Arten anhören müssen, von PatientInnen, ­KundInnen, KlientInnen.

Leute, seid nett miteinander: Eure Gegenüber sind auch Menschen, und sie sollen Euch herzlich und aufmerksam begegnen. Behandelt sie mit Respekt und Freundlichkeit!

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