Anzeige

eHealth-Gesetz: Zurück in der Zukunft

Autor: Michael Reischmann; Foto: thinkstock

Anzeige

Im Dezember wird das sog. eHealth-Gesetz alle gesetzgeberischen Hürden genommen haben. Doch es ist absehbar, dass bald ein zweites Gesetz folgt. Eine zentrale Rolle bekommt die elektronische Patientenakte. Sie soll für die Akzeptanz der Telematik im Gesundheitswesen sorgen.

Dr. Silke Lüder ist Allgemeinärztin in Hamburg. Für das Aktionsbündnis „Stoppt die e-Card!“ durfte sie als Expertin an der öffentlichen Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestags zum eHealth-Gesetz teilnehmen und sprechen. Über ihre Eindrücke beim Stelldichein der Lobbyisten berichtete sie ein paar Tage später in Frankfurt/M. anlässlich der Mitgliederversammlung der Freien Ärzteschaft, deren stellvertretende Vorsitzende Dr. Lüder ist.

Die gezielten Fragen mehrerer Abgeordneter nach dem Nutzen einer elektronischen Patientenakte, die Befunde, Medikationsplan, Organspendepass, Patientenverfügung etc. enthalten könnte, deuten an, wo Politiker, IT-Industrie und andere Interessierte hinwollen. Das eHealth-Gesetz ist dafür nur der Auftakt. Es macht mit konkreten Terminen und mit angedrohten Sanktionen Druck auf die Verantwortlichen, damit die elektronische Gesundheitskarte – zehn Jahre nach ihrer einst vorgesehenen Einführung und bei Kosten von über 1,3 Mrd. Euro – endlich Mehrwerte liefert.

Elektronische Gesundheitskarte ist technisch veraltet

Doch im Zeitalter der Smartphones wirkt die Vorstellung eines „eKiosks“ in einer Krankenkassenfiliale, mit dem die Versicherten ihre Daten prüfen und verwalten, wie eine Fehlprognose aus dem Film „Zurück in die Zukunft“ für 2015. Dr. Lüder liest die Zeichen so, dass mit dem Notfalldatensatz, der ab 2018 mithilfe der eCard gespeichert werden kann, der Einstieg in eine „kleine elektronische Akte“ beginnt. Auch die PIN zum Lesen, Schreiben und Aktualisieren verliere als Schutzmaßnahme an Zuspruch; sie erscheine den Telematikprotagonisten eher hinderlich.

Dr. Lüder sieht in der Pflege elektronischer Datenbestände auf die Ärzte auch ein zeitliches Problem zukommen. Sie machte das in Frankfurt am Beispiel des Marcumarpasses deutlich. Der werde in Papierform nicht überflüssig. Komme es aber zu Therapieänderungen („eine halbe Tablette mehr oder weniger“) müssten – nicht zuletzt aus Haftungsgründen – jedes Mal auch die Notfalldaten des Patienten und die elektronische Medikamentendatei, inklusive Arzneimitteltherapiesicherheitsprüfung, á jour gebracht werden.

Notfalldatensatz als Einstieg zur elektronischen Akte?

Eine große zeitliche Belastung der Hausärzte sieht die KBV auch schon in dem künftigen Anspruch der Versicherten auf einen Medikationsplan, der im eHealth-Gesetz zunächst nur in Papierform vorgesehen ist. Die KBV spricht sich dafür aus, diesen erst ab fünf – und nicht schon ab drei – verordneten und zugleich eingenommenen Arzneimitteln verpflichtend zu machen.

Eine gewisse Freude empfand Dr. Lüder über eine Äußerung der Chefin des GKV-Spitzenverbandes, Dr. Doris Pfeiffer, die in der Anhörung „Wasser in den Wein“ der Telemedizin-Befürworter goss. Die Krankenkassen haben schon etliche Projekte, z.B. zu Herzinsuffizienz, Diabetes oder Bluthochduck, finanziert. Die Evaluationen überzeugen sie aber offenbar nicht restlos.

GKV ist von Telemedizin nicht überzeugt

Wenn es nur um die Ausweitung ärztlicher Abrechnungsmöglichkeiten gehe, sei das nicht im Sinne der GKV, sagte Dr. Pfeiffer. Anwendungen, die etwa in Mecklenburg-Vorpommern sinnvoll erscheinen, seien innerhalb Berlins zu hinterfragen. Noch sieht die Mus­terberufsordnung ein Verbot der reinen Fernbehandlung vor; telemedizinische Verfahren dürfen nicht völlig ohne Arztkontakt stattfinden, unterstreicht Dr. Lüder.

Sie vermutet allerdings, dass die eHealth-Befürworter in den ärztlichen Reihen den Deutschen Ärztetag 2016 nutzen wollen, das Fernbehandlungsverbot zu kippen. Dabei sei es z.B. unrealistisch zu glauben, mit der Telemedizin lasse sich der Landarztmangel ausgleichen. Die Allgemeinärztin geht – wie die KBV – davon aus, dass sich der vom Gesetzgeber angestrebte Zeitplan zur Nutzung der Telematik­infrastruktur (TI) nicht halten lässt. Die KBV verweist auf fehlende Komponenten der Industrie.

Telematikinfrastruktur scheitert an der Industrie

Was hätte es auch für einen Sinn, direkt nach den Feldtests die TI auszurollen, ohne die Evaluationen abzuwarten? Doch so oder so: Am Ende werden die Vertragsärzte an der elektronischen Prüfung und Aktualisierung von Versichertenstammdaten nicht vorbeikommen, wollen sie ihre Honorarabrechnung nicht gefährden, warnt Dr. Lüder.

Sie hält den Online-Datenabgleich in den Praxen für einen „Dammbruch“. Alle wollten von dem „Kuchen des Jahrtausends“ etwas abbeißen. Dabei fielen die „Daten“ nicht vom Himmel, sondern seien meist das Ergebnis ärztlicher Arbeit. Von den Körperschaften KV und Kammer erwartet Dr. Lüder keinen dauerhaften Widerstand. Sie sagt: „Wir können das Gesetz nicht verhindern, aber die Kritik aufrechterhalten.“

Anzeige