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Ehrenamtler für ärztliche Diagnostik gesucht!

Autor: Dr. Frauke Höllering

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Top-Versorgung auf dem Dorf? Pustekuchen! Der Landarzt verkommt zum Barfußdoktor: Langzeit-EKG schreiben darf er, aber fürs Auswerten gibt’s nicht einen Pfennig, kritisiert MT-Kolumnistin Dr. Frauke Höllering.

Es erwischte mich unvorbereitet in der Teeküche: „Die Auswertung vom Langzeit-EKG wird auch nicht mehr bezahlt, woll?“, fragte mich mein Azubi im gemütlichen Sauerländer Tonfall. Mit meiner Gemütlichkeit war es schlagartig vorbei. „Waaas?“, fragte ich entgeistert. „Das haben wir in der Schule gehört!“, sprang ihm seine Kollegin bei. „Das ist wie mit der Langzeitblutdruckmessung, die Auswertung dafür wird auch nicht mehr abgerechnet.“

Da die beiden wenig Interesse daran haben konnten, mir mit aus der Luft gegriffenen Behauptungen schlechte Laune zu verschaffen, musste ich ihnen zunächst glauben. Wahrscheinlich habe ich, die ich mir doch die offiziellen KV-Verlautbarungen normalerweise regelmäßig zu Gemüte führe, einen Filter für blutdruckerhöhende Neuigkeiten eingebaut. Irgendwo im Kleingedruckten waren diese wahrscheinlich im „Pluspunkt“ (der für mich eher als Minuspunkt empfunden wird) untergebracht und die Kenntnisnahme meinem Selbstschutzmechanismus zum Opfer gefallen.

Um sicherzugehen, rief ich das Servicecenter der KV an. „Das ist richtig“, beschied man mir höflich, „beides wird nicht mehr bezahlt!“ Da ich naiv noch phasenweise an Gerechtigkeit glaube, hakte ich nach: Da es wenig Sinn habe, eine Messreihe durchzuführen, ohne deren Daten auszuwerten, würde man doch sicher eine Erhöhung des Regelleistungsvolumens zum Ausgleich durchführen? Die Dame am anderen Ende der Leitung blieb kurzfristig stumm. „Ich glaube das nicht“, sagte sie bedauernd, „aber ich frage noch einmal nach.“ Entweder tat ich ihr leid oder sie konnte die Absurdität des Gesagten nicht unbestätigt hinnehmen.

Leider hätte ich Recht, bestätigte sie mir kurz darauf. „Einen Ausgleich gibt es nur, wenn Sie eine Praxisbesonderheit geltend machen können, also cirka 30 % mehr Auswertungen als die Vergleichsgruppe nachweisen.“ Das konnte ich nicht, da der landärztliche Alltag ein übermäßiges Schwelgen in technischen Finessen schon aus Zeitgründen verbietet. Meine Gesprächspartnerin entschuldigte sich, obgleich das ihre Aufgabe wahrhaftig nicht war, und ich legte auf.

»Sollen Hausärzte zu Barfußmedizinern gestutzt werden?«

Das soeben Erfahrene führte zu einer Symptomatik, die mit „Bauchgrimmen“ nur unzureichend beschrieben werden kann. Wer hat diesen Schwachsinn nun wieder zu verantworten? Was ist der Plan dahinter? Sollen wir Hausärztinnen und -ärzte systematisch zu Barfußmedizinern herabgestutzt werden, die mit einem Stethoskop um den Hals und einem Überweisungsstapel vor dem Bauch eine reine Lotsenfunktion ausfüllen?

Unsere Gespräche werden jetzt schon nicht bezahlt. Und unsere Hausbesuche und einen Großteil der Untersuchungen führen wir für Gotteslohn durch. Um eine anspruchsvolle Diagnostik anzubieten und unsere Patienten nicht ständig in die nächste Stadt zu Fachkollegen zu schicken, halten wir dennoch allerlei Technik vor, die sich schon jetzt nicht rentiert; aber ein bisschen Vergnügungssteuer zahlen wir ja gern.

»Erst kein Geld mehr für Gespräche, dann fürs EKG ...«

Nun aber fühle ich mich veralbert, genasführt – nein, eigentlich müsste hier ein härteres Wort stehen, dessen Gebrauch meine Erziehung aber leider verbietet. Darf ich jetzt ein Gerät antüdeln (das traut man mir anscheinend noch zu), um es nach dem Abtüdeln zur Auswertung an unsere Kardiologen zu schicken? Die werden sich bedanken, haben sie doch mit ihren anderen Aufgaben mehr zu tun, als während einer menschenwürdigen Arbeitszeit zu bewältigen ist. Oder erwartet man von uns, dass wir unsere technischen Untersuchungen, die wir Jahrzehnte bestens erledigt haben, nun demütig ganz ans nächste Facharztzentrum abgeben? Oder will man, dass wir einfach weitermachen, aber eben unbezahlt? Oder ist es der Anfang einer Priorisierung, solche Untersuchungen für die tapfere Landbevölkerung als überflüssig anzusehen?

All diese Interpretationen schmecken mir nicht. Was kommt als Nächstes? Wird man Ergometrie und Ultraschall als unangemessen für Hausärzte „erkennen“ und auch diese nicht mehr bezahlen? Dann dürfen wir bald neben den Überweisungen nur noch Rezepte ausfüllen, für deren Inhalt wir jetzt schon ständig mit Mahnbriefen drangsaliert und mit Regressen bedroht werden. Bis jetzt hatte ich wenigstens noch meinen Galgenhumor. Aber nun bin ich ernsthaft sauer! Und wie geht es Ihnen damit?

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