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Ein Arzt ist und bleibt ein Doktor – ganz ohne Plagiat

Autor: Dr. Robert Oberpeilsteiner

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Abschreiben haben wir Ärzte zum Glück nicht nötig, freut sich Kolumnist Dr. Robert Oberpeilsteiner. Wir sind nun mal "Doktor".

Schön, dass sich für Doktorarbeiten in letzter Zeit so viele interessieren. Denn das Schreiben einer Doktorarbeit kann spannend sein, selbst und gerade wenn keine betrügerischen Absichten dahinter stehen.


Und die Details dazu lassen sich noch Jahre danach wie die Splitter eines Spiegels zusammensetzen: Bei mir waren es vor allem die einsamen Stunden im Archiv. Kein wissenschaftlicher Dienst des Bundestages weit und breit, der einem das Durchforsten von Krankengeschichten abnahm.


An den Wochenenden gings dann raus ins Grüne, an den Stadtrand Münchens. Der betreuende Oberarzt hatte dort ein kleines Häuschen, schenkte Kaffee aus und wir besprachen die Ergebnisse. Dazu kamen Literaturrecherchen, statistische Arbeiten, Ringen um Formulierungen – es ist alles noch so präsent, als wäre es gestern gewesen.


Auch der Schlüssel für die „geschlossene Abteilung“ der Psych­iatrie muss noch irgendwo rumliegen. Ich erhielt ihn, weil man ihn brauchte, um durch diese Station  zum Archiv zu gelangen. Sollte ich also irgendwann wegen Demenz und Verhaltensauffälligkeiten bei Euch abgeliefert werden, liebe Kollegen, so habe ich immer noch ein As im Ärmel, denkt daran.


Die Arbeit an der Dissertation hielt man damals für nichts Besonderes, betrachtete sie nicht als etwas Abgehobenes. Es war Stress, den man sich auflud, ohne genau zu wissen wofür. Wobei das für die Mediziner, die an der Uni blieben oder in die Wirtschaft gingen, natürlich anders aussah.


Später, im täglichen Umgang mit den Kollegen bestätigte sich diese Einschätzung. Der Doktortitel des praktizierenden Mediziners hat für viele die Bedeutung eines Wurmfortsatzes. Hat er ihn oder hat er ihn nicht? Keiner fragt danach. Keiner, der sagt, er nützt ihm wirklich.


Daher vermutlich auch unser geringes Interesse an dem Hype, der durch die Medien rauschte, als dem Freiherren mit den zehn Vornamen der „Dr.“ gestrichen wurde. Karl Valentin hätte dazu gesagt: „Froh soll er sein, dass er ihn los ist, die Adresse ist immer noch viel zu lang!“

Uns Medizinern kann der "Doktor" nicht abhanden kommen

Nun können wir ja leicht lästern. Denn wir Mediziner sind die einzigen, denen der „Doktor“ nicht abhanden kommen kann. Er wird alltäglich verwendet für die Berufsbezeichnung Arzt, so wie es den Ingenieur oder den Bauern gibt. Sollte also jemand, aus welchen Gründen auch immer, seinen Doktortitel zurückgeben, so ändert sich nicht viel: Einmal Doktor, immer Doktor. Denn kein Mensch sagt: „Grüß Gott, Herr Arzt!“ Das unterscheidet uns schon einmal grundsätzlich von FDP- und CSU-Politikern.


Stellt sich die Frage, warum denn eigentlich promovieren, wenn es in vielen Fällen nicht wirkliche Vorteile bringt? Diese Frage muss wohl jeder für sich selbst beantworten. Oft steht zu Ende des Studiums die berufliche Laufbahn noch nicht eindeutig fest. Man will sich also Optionen offenhalten. Häufig, so war es auch bei mir, beginnt man mit der Dissertation, legt sie jedoch aus beruflichen oder sonstigen Gründen auf Eis. Irgendwann ärgert man sich dann über die bereits investierte Zeit und schließt, falls es möglich ist, die Arbeit noch ab.


Und natürlich gibt es jene, die trotz Prüfungsstress der Wissenschaft einen Dienst erweisen und die Promotion fixfax durchziehen. Die charakterstarken Studenten eben. Zu denen ich nicht zählte.


Aber als ich während meiner Assis­tenzarzttätigkeit überraschend eine Praxis angeboten bekam, musste ich mich entscheiden. Die Praxisschilder waren bestellt und mein Freund Peter, Inhaber von Schilder-  und Schlüsseldienst, fragte mehrmals nach, ob er sie jetzt mit oder ohne „Dr.“ anfertigen sollte. Die Zeit drängte also. Die Überlegung, erst ohne den Titel, um juristisch korrekt zu sein, und später das Schild auszuwechseln, befriedigte nicht. Das wären so halbe Sachen gewesen. Außerdem hätte der Schilderwechsel so ausgesehen, als sei einem der „Doktor“ wichtig. Das wollte man aber nicht gerne zugeben.

Der Titel hat für viele die Bedeutung des Wurmfortsatzes

Es war damals nicht so lange her, dass wir gerufen hatten: „Unter den Talaren – Muff von tausend Jahren!“ Der Doktorhut auf dem Kopf kommt einem aber ziemlich albern vor, wenn man wenige Jahre zuvor mit Tomaten und Kriegsgeschrei gegen hierarchische Strukturen protestierte. Das ist wie Wasser predigen und Wein trinken.


Jedenfalls schloss ich eilig die weit gediehene Arbeit ab. Aus Eitelkeit? Mir war, wie ich zugebe, die Kollegin nicht unsympathisch, die auf die Frage, ob sie Wert auf die Anrede „Frau Doktor“ lege, mit zusammen gepressten Lippen antwortete: „Die Zeit muss sein!“


Lassen wir es gut sein. Denn je mehr man sich in die besondere Dialektik des „Dr. med.“ versenkt, umso tiefer gerät man in trübes Fahrwasser. So hat man sich beispielsweise Titel und Würden auch immer schon erheiratet. Ein uralter Stammtischwitz unter Medizinern geht so: Die Ehefrau von Dr. Huber steht am Gartentor. Der Patient zieht den Hut und fragt: „Grüß Gott, Frau Doktor, ist der Huber da?“


So leicht kann er hergehen, der Doktortitel. Das sollte doch auch in politischen Karrieristenkreisen bekannt sein. Warum dann bloß all dieser Aufwand, Amigos?

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