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Eine nervende Debatte

Aus der Redaktion Autor: Birgit Maronde

© MT
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Wer die Gleichberechtigung der Geschlechter im privaten wie im gesellschaftlichen Bereich voranbringen will, braucht gute Argumente, um in die Köpfe der Menschen vorzudringen und keine aufoktroyierten Sprach- und Sprechvorgaben. Gendern kann das Problem der Ungleichbehandlung nicht lösen. Ein Kommentar.

Ich kann die Diskussion übers Gendern nicht mehr hören. Keine Frage, dass man heute in der direkten Anrede oder in offiziellen Schreiben von Kolleginnen und Kollegen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern oder auch Ärztinnen und Ärzten spricht und z.B. bei Stellenausschreibungen alle Geschlechter einschließlich divers berücksichtigt. Ich finde es auch gut, dass vor allem das dritte Geschlecht in unserer Gesellschaft sichtbarer wird. Viel zu lange wurde Intergeschlechtlichkeit tabuisiert, hat man schon im Kindesalter operativ männliche oder weibliche „Tatsachen“ geschaffen. Starke Zweifel habe ich jedoch, dass es durch aufoktroyierte Sprach- und Sprechnormen gelingt, die Rolle von Frauen und diversen Menschen in unserer Gesellschaft zu verbessern.

Wer hat etwas davon, wenn es z.B. in den Nachrichten heißt: Soldatinnen und Soldaten unterstützen in den Impfzentren Ärztinnen und Ärzte in der Versorgung der Patientinnen und Patienten. (Diversgeschlechtliche werden gar nicht erwähnt, welch ein Faux-pas!) Solch ein Satz klingt schrecklich gestelzt und der Zuschauer wird lediglich daran erinnert, dass es auch weibliche Soldaten, Ärzte und Patienten gibt, prima! Aber was folgt daraus? Wird eine Frau künftig die gleichen beruflichen Karrierechancen bekommen wie ein Mann? Wird sie gleichen Lohn für gleiche Arbeit erhalten oder von ihrem Partner zu Hause von den Aufgaben rund um Kind und Haushalt entlastet werden? Sprache kann viel, aber das sicher nicht. Ob man nun in Texten stringent alle Geschlechterformen nennt oder beim Sprechen Kunstpausen zwischen Patient:innen macht, dürfte den allermeisten Frauen dieser Welt ziemlich egal sein. Sie haben ganz andere Probleme.

Man denke nur an häusliche Gewalt, die aktuell auch bei uns wieder zugenommen hat und in der Türkei mit dem Ausstieg aus dem Istanbul-Abkommen quasi legitimiert wurde. Oder an das neue Abtreibungsrecht in Polen, dass Schwangerschaftabbrüche in fast allen Fällen verbietet, Frauen das Selbstbestimmungsrecht nimmt und sie zum Spielball klerikaler und national-konservativer Machtinteressen macht. Wie wenig die Debatte ums Gendern mit der Realität zu tun hat, zeigte sich erst kürzlich am SofaGate, als Recep Tayyip Erdoğan und EU-Ratspräsident Charles Michel die EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen auf die Couch verbannten. Sie ist eben „nur“ eine Frau.

Birgit Maronde
Chefredakteurin Medical Tribune

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