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Einsam in den Tod

Aus der Redaktion Autor: Birgit Maronde

© MT
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In der Corona-Krise gilt Distanz als Zeichen von Zuneigung. Das kann für ohnehin bereits einsame Menschen zum Problem werden. Ein Kommentar.

Das Zimmer knapp vier mal vier Meter, darin ein kleiner Schrank, Fernseher, Tisch, zwei Stühle und natürlich das Pflegebett, aus dem der alte Herr morgens herausgeholt und am frühen Abend wieder hineingelegt wird.

Tagsüber sitzt er in seinem Rollstuhl, schaut den Wolken nach, wartet, dass das Essen gebracht und wieder abgeräumt wird, die Schwester seine Pillen bringt. Lesen? Schwierig, er sieht nicht mehr gut, auch mit der Konzentration ist das so eine Sache. Fernsehen? Na ja, dabei schläft er regelmäßig ein. Aber die Nachrichten, die schafft er noch. Schon wieder mehr Infektionen und Tote, auch in Altersheimen.

Früher, das heißt vor Corona, kam wenigstens regelmäßig Besuch, die Kinder, Enkel oder einer der wenigen verbliebenen Bekannten. Und jetzt? Nichts mehr. Außer dem Personal und seiner Ärztin, die einmal pro Woche nach ihm sieht, darf niemand mehr ins Pflegeheim.

Nicht mal der Hörgeräteakustiker, um seine Ohren wieder flott zu machen. Fußpflege? Das war mal. Wer braucht so etwas im hohen Alter noch, lasst doch die Krallen wuchern. Frisör? Wenn er Glück hat, wäscht ihm einer der Pfleger irgendwann die Haare.

Seit fast vier Wochen geht das nun schon so. Seit fast vier Wochen hat ihn von seinen Lieben niemand mehr in den Arm genommen, seine Hand gehalten, ihm etwas Zuversicht gegeben. Natürlich gibt es Telefon, aber das ist nicht das Gleiche.

Die Aussicht, dass sich in absehbarer Zeit etwas an diesem Zustand ändert? Trübe. Seine Isolation kann noch Monate andauern. Gewiss ist nur, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt. Immerhin dürfen seine Angehörigen zu ihm, wenn er seine letzten Atemzüge macht – falls es irgendjemand überhaupt rechtzeitig bemerkt.

Birgit Maronde
Chefredakteurin Medical Tribune

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