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Fortbildung ohne Luxus, muss so viel Ethik sein?

Autor: Dr. Frauke Höllering

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Für Fortbildungen gibt es strenge ethische Richtlinien. Das ist verständlich, findet Dr. Frauke Höllering. Aber irgendwie ist es auch schade ...

Kann ich Sie eben kurz sprechen? Verführerisch schaut mich die Außendienstmit­arbeiterin eines großen Pharmakonzerns an und schwenkt ein paar Unterlagen. Ich weiß genau, was sie denkt: „Wenn ich nicht gleich in die Vollen gehe, sagt die Ärztin wieder, sie hätte keine Zeit.“ Ich weiß auch, was sie in der Hand hat: Die Einladung für eine Fortbildungsveranstaltung. Ich weiß auch, dass ich keine Lust habe, mir eben diese anzusehen, aber ich bin ein höflicher Mensch und bitte noch um ein wenig Geduld. Dann sitzen wir im Sprechzimmer.

Früher durften wir in der Wiener Hofburg tanzen

Sie kommt sofort zur Sache. Schließlich sind neue Präparate auf dem Markt und es gilt, Marktanteile zu erschließen. Mich interessiert dieses Thema sehr, denn die neuen Tabletten sind teuer, und ich würde schon gerne wissen, was von ihnen zu halten ist. Aber das erfahre ich hier ja sowieso nicht! Sie legt mir einen Folder hin: Freitag soll ich in eine entfernte Stadt reisen, um abends noch einen Vortrag zu hören. Der Samstag dient ganz der Wissenschaft, abends wird man sich zum Essen treffen. Am Sonntag, kurz vor der Abreise, kommt noch ein weiterer Referent zum Zuge.  „Interessantes Thema!“, sage ich, „aber wann soll ich mich erholen? So etwas kann man machen, wenn man die ganze Woche nur Däumchen dreht!“

Die Pharmareferentin seufzt. Sie weiß ebenso wie ich, dass das angebotene Programm im engen Korsett der Ethikrichtlinien steckt. „Ohne den Sonntagsvortrag müssten wir Samstag schon abreisen“, erklärt sie und ich überlege, ob das nicht die bessere Variante gewesen wäre.  Ich lehne höflich ab und bitte sie,  mir Bescheid zu geben, falls eine Abendveranstaltung in meiner Nähe stattfinden sollte.  Auch wäre ich gerne bereit, den Mittwochnachmittag dem Wissenserwerb zu opfern. Sie verspricht, mich zu informieren, und erwähnt noch kurz einige Vorzüge ihres Präparates. Dann geht sie hinaus und lächelt dabei; ein bisschen eingefroren, wie mir scheint.

Kollegiale Gespräche nach der Wissenschaft - das war einmal

Wir beide haben noch die „gute alte Zeit“ miterlebt, in der Fortbildungsveranstaltungen eine gelungene Mixtur aus Wissenschaft und Erholung waren. Man fuhr mit Partner in eine nette Stadt und setzte sich freitagabends zum kollegialen Gespräch zusammen. Samstag bildete man sich mit Unterstützung renommierter Experten, abends gab es ein nettes Konzert  oder eine andere gesellschaftliche Veranstaltung. Unvergessen ist mir ein hochkarätiges Wochenende in Wien, wo wir am Samstag von dem geballten Wissen der Fachleute profitierten und abends in der Hofburg tanzen durften.
Temps perdu! „Mit Recht“, werden einige denken, das war ja auch moralisch zweifelhaft: Sich zu amüsieren auf Kosten der armen Kranken, die diese Sausen mit überhöhten Medikamentenpreisen auszubaden hatten! Man hätte wirklich nicht in der Hofburg tanzen müssen, auch eine Scheune hätte gereicht. Man hätte auch nicht den Freizeitanteil zuungunsten der Wissenschaft immer weiter ausdehnen und schon gar nicht die lieben Kolleg(inn)en mit gesamter Familie ins Flugzeug packen müssen.

Dia ganze Familie mitbringen, das geht natürlich zu weit

Das, so wissen Außendienstmitarbeiter zu berichten, führte zu einer ungeheuren Anspruchshaltung: So standen sie regelmäßig mit ungenutzten Tickets am Flughafen, weil manche Strategen sich spontan entschieden hatten, doch nicht mitzufliegen. Andere tauchten, mit Partner eingeladen, in deutschen Spitzenhotels mit einem ganzen Clan auf. Wieder andere ließen sich in gute Hotels attraktiver Städte einladen und dann bis zu Abreise nicht mehr blicken, weil sie lieber touristisch unterwegs waren, als dem Fortbildungsteil beizuwohnen.  Ich selbst musste Bemerkungen mithören wie: “Tolles Wochenende! Aber dieses Zeug schreibe ich sowieso nicht auf. Sehen wir uns nächstes Wochenende in Lissabon?“ Es gab ganze „Fortbildungsmafias“, die ihre Außendienstler geradezu erpressten: „Wo geht es nächste Woche hin? Wenn Sie mich und meine befreundeten Kollegen nicht einladen, brauchen sie gar nicht wieder zu kommen!“


So mag mancher Pharmareferent erleichtert sein, dass dieser Druck weg ist. Ich aber finde es – wenn auch ethisch nicht angemessen –  irgendwie schade, dass ich meine Fortbildung nun meistens abends am Rechner mache, weil ich das Wochenende mit dem Mann meines Herzens verbringen will – auch um mich zu erholen.

Am Wochenende will ich mich auch erholen!

Übrigens: Neulich brauchte ich einen neuen Heizkessel. Zähneknirschend zahlte ich den stolzen Preis, musste ich doch nehmen, was mein Installateur empfahl – wohl wissend, dass die Herstellerfirma gerade eine Riesensause mit ihren Vertriebspartnern gemacht hatte. Ganz ohne Fortbildungsteil.

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