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Freier Arzt verkommt zum Geldeintreiber

Autor: Dr. Robert Oberpeilsteiner

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Mit der heutigen Gängelei wäre das Rad nie erfunden worden. Und die Pyramiden gäbe es auch nicht. Warum? Das verrät Ihnen MT-Kolumnist Dr. Robert Oberpeilsteiner.

Kürzlich wurde im Deutschen Ärzteblatt die Frage gestellt: „Sind Ärzte Beauftragte der Kassen?“ Es ging dabei um die Freiberuflichkeit der Ärzte. Das Thema ist nichts wirklich Neues. Denn diese Frage beschäftigte mich schon vor gefühlten 200 Jahren, als ich vom Krankenhaus in die freie Wildbahn wechselte.


Damals durfte ich, um die Kassenzulassung zu erhalten, zuallererst einigen älteren Herren in der Kassenärztlichen Vereinigung meine Aufwartung machen. Das war eben vor der Computerzeit. Da nahm man für bedeutende Anlässe noch mit wirklichen Menschen Kontakt auf. Wir wechselten ein paar nette Sätze. Einer der hohen Herren erklärte mir dabei ausführlich, wir Ärzte seien freiberuflich tätig. Er meinte es vermutlich aufmunternd. Ich sollte wohl stolz darüber sein. Aber ich bekam das nicht so richtig mit, weil ich eigentlich nur daran dachte, möglichst schnell die KV-Zulassung für die Übernahme einer Praxis zu bekommen.


Ich fand es – und finde es mittlerweile immer noch – toll, zu den Freiberuflern zu zählen. Schließlich haben wir das Rad erfunden, bauten Pyramiden. Na ja, nicht direkt wir, aber die ersten Freiberufler so circa 4000 vor Christus, wie man beim BFB (Bundesverband der Freien Berufe) in einer Historie nachlesen kann. Ingenieure, Architekten und Heilkundler im Orient waren demnach die ersten freien Berufe.

"Bald müssen wir auch noch die Stechkarte zücken"

Und stolz können wir eigentlich auch auf die gültige Definition unserer Tätigkeit sein: „Die Freien Berufe haben im allgemeinen auf der Grundlage besonderer beruflicher Qualifikation oder schöpferischer Begabung die persönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Erbringung von Dienstleistungen höherer Art im Interesse der Auftraggeber und der Allgemeinheit zum Inhalt.“
Fachlich unabhängig, Dienstleistungen höherer Art, schöpferische Begabung, besondere berufliche Qualifikation. Das hört sich doch eigentlich alles ganz gut an. Das Elend, das ich meine, liegt im Wörtchen „frei“. Es suggeriert, ich könnte selbst entscheiden. Und es macht es so schwer, wenn dann die Realität die Grenzen aufzeigt.


Erst kürzlich war wieder so eine Situation. Alles schien nur ein Versehen zu sein. Bei der Bezahlung einer Privatrechnung fehlte ein kleinerer Betrag. Kann ja mal vorkommen. Bei der Kontrolle fiel mir auf, dass es exakt die Gebühr für den letzten Besuch im Altersheim war. Aufklärung erbrachte ein Schreiben, das ich am nächsten Tag im Briefkasten fand. Der Betreuer meines Patienten – zufällig der Sohn – erlaube sich, den Betrag abzuziehen, da für den von mir berechneten Besuch kein Nachweis vorhanden sei. Ich hätte das Krankenblatt im Altenwohnheim für diesen Tag nicht abgezeichnet und das Personal könne sich nicht erinnern.


Ich konnte mich sehr wohl erinnern, da das Ganze zum Jahresende, erst wenige Tage vor Rechnungsstellung erfolgt war und ich sogar den Pfleger bitten musste, mir beim Verlassen der „beschützenden Abteilung“ die Tür aufzusperren. Ich spuckte Gift und Galle. Sollte ich, bitte schön, vielleicht wie ein Lohnabhängiger des letzten Jahrtausends jedesmal mit einer Stechkarte meinen Anwesenheitsnachweis erbringen. Schließlich war ich Freiberufler, selbstständig, Herr über ... ja, worüber eigentlich?

"Mit so viel Gängelei wäre das Rad nie erfunden worden"

Bevor ich mich an den Computer setzte, um ein Schreiben loszulassen, auf das ein Scheidungsanwalt stolz hätte sein können, sagte „meine“ Mathilde, sie kümmere sich drum. Als routinierte Helferin zählte sie professionell die Fakten des Hausbesuchs auf. Sie machte es perfekt und emotionslos. Ich konnte mir allerdings nicht verkneifen anzufügen, dass es auch etwas mit Vertrauen zu tun habe, wenn man einen Patienten zwanzig Jahre lang betreut. Wenige Tage später war der fehlende Betrag kommentarlos überwiesen. Ein Wort der Entschuldigung bekam ich bis heute nicht zu hören.


Einiges habe ich Freiberufler ja schon begriffen. Wenn ich zum Beispiel ein Rezept ausstelle, das Frau Müller von den Kopfschmerzen befreit und Apotheker Eugen Pillendreher den Umsatz erhöht, so hafte ich dafür gegenüber der gesetzlichen Krankenkasse. Mit meinem gesamten Vermögen. Außer mir regt sich auch keiner mehr darüber auf. Offensichtlich ist das in unseren Köpfen bereits als unabänderliches Naturgesetz gespeichert. So wie man sich ja auch seine Eltern nicht aussuchen kann.


Kürzlich las ich in einer Tageszeitung sinngemäß, aufgrund der begleitenden informativen Maßnahmen sei die Arzneimittelhaftung für uns niedergelassene Ärzte kein bedrohliches Thema mehr. Warum schafft man sie dann nicht ab? Soweit zur Bedeutung „frei“ in freiberuflich.


Beim letzten Heimbesuch ging mir dies nicht aus dem Kopf. Als ich zum Büro des Pflegeheims fuhr, um mit schöpferischer Qualifikation und eigenverantwortlich die Praxisgebühr zu kassieren, dachte ich, hätten die Freiberufler vor viertausend Jahren sich das alles gefallen lassen, hätten sie nie das Rad erfunden. Und wir, ja wir Vertreter eines freien Berufs würden brav die Praxisgebühr zu Fuß kassieren gehen. Wir sind halt so frei.

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