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Für Bagatellen springe ich auch bei Privaten nicht

Autor: Dr. Frauke Höllering

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Wegen irgendwelcher Bagatellen zum Hausbesuch ausrücken, nur weil der Patient privatversichert ist? Auf so etwas lässt sich MT-Kolumnistin Dr. Frauke Höllering nicht ein. Lieber verzichtet sie auf einen lukrativen Patienten mit Besuchshonorar und Wegegeld.

Im Grunde meines Herzens weiß ich es ja: Als Ärztin ist man Dienstleister. Aber, hippokratischer Eid hin oder her, manchmal habe ich gar keine Lust zum Dienstleisten! Davon abgesehen, musste ich diesen Eid niemals schwören oder auch nur schriftlich akzeptieren; in den 1980er-Jahren fand man so ein Bekenntnis wohl eher überflüssig – „unter den Talaren der Muff von tausend Jahren“ hieß es damals. Heute aber bin ich nicht nur Ärztin, sondern als Kleinunternehmerin auch noch verantwortlich für meine Mitarbeiterinnen. Da kämpfen manchmal Unlust („Sie möchte ich nun wirklich nicht als Patient haben!“) mit Einsicht („Sie sind mir zwar nicht wirklich sympathisch, aber irgendwie muss ich mein Geld ja verdienen“).

»Zum Dienstleisten habe ich manchmal einfach keine Lust«

Für manche Mitbürger aber ist die Vorstellung, dass man sich nicht um ihre Behandlung reißt, völlig undenkbar. Vor einer Weile besuchte ich im Notdienst einen reizenden älteren Herrn, den ein Infekt an sein Bett in einer noblen Villa gefesselt hatte. Seine Frau erklärte mir von oben herab, welche Symptome ihr Mann habe und was ich ihrer Meinung nach zu untersuchen hätte. Ich nickte freundlich, ignorierte ihre Ansage zunächst und stellte dem armen Kranken ein paar Fragen, die er mir gern beantwortete. „Wie bitte?“, unterbrach ihn die Gattin schnell in schrillem Tonfall, „Du hast Durchfall? Das hast Du mir gar nicht gesagt!“ Auch die weitere Anamneseerhebung verlief unerfreulich; ich fühlte mich an nervige Mütter erinnert, die ihren Kindern konsequent ins Wort fallen, wenn ich ein paar Fragen beantwortet haben möchte.


Dennoch schien ich einen halbwegs vernünftigen Eindruck hinterlassen zu haben. Beim Hinausgehen neigte sich mir die Gattin huldvoll zu: „Unser alter Hausarzt praktiziert nicht mehr und wir suchen einen neuen. Ich könnte mir vorstellen, dass Sie das sein könnten“. Während sie mich erwartungsvoll ansah, leuchtete in meinem Gehirn das Hinweisschild „Privatpatient: Auch Hausbesuche werden vergütet!“ auf.


„Unser alter Hausarzt kam auch samstags regelmäßig vorbei“, bemerkte die Dame des Hauses nun. „Wenn es einem von uns nicht gut ging, war er sofort da!“. Ich schluckte. Samstags treibe ich mich mit dem Mann meines Herzens vorzugsweise beim Einkaufen, auf dem Golfplatz oder in der Gesellschaft netter Freunde herum, wenn mich nicht der Notdienst in muffige Ambulanzen oder auf die Landstraße zwingt. „Kam er auch, wenn Sie nicht bettlägerig waren?“, fragte ich vorsichtig. „Das war für ihn selbstverständlich!“, wurde ich streng beschieden, „und wenn es nötig war, kam er gleich sonntags noch einmal“.

»Hausbesuch ohne Grund gibt es bei mir nicht«

Ein Heiliger? Ein Kollege in Geldnot? Ich wusste es nicht. In jedem Falle würde mein Service weit weniger ausgedehnt ausfallen: So viel wie nötig, so wenig wie möglich. „Ich komme gern, wenn Sie nicht zu mir fahren können“, murmelte ich lahm. Mir war klar geworden, dass ich den kranken Mann im ersten Stock gern weiter behandelt hätte, aber mit seiner besseren (?) Hälfte ständig aneinander geraten würde. „Ich bin übrigens nur halbe Tage in der Praxis“, ergänzte ich daraufhin fast fröhlich. Das war das K.-o-Kriterium; von dieser Familie habe ich nie wieder etwas gehört.


Rein ökonomisch habe ich unverantwortlich gehandelt. Privatpatienten fallen in unserer Gegend nicht vom Himmel. Es gibt hier eine erstaunliche Anzahl von Topmanagern und wohlhabenden Unternehmern, die Mitglieder gesetzlicher Kassen sind und nur eine Zusatzversicherung fürs Krankenhaus haben. Das hält einige nicht davon ab, eine bevorzugte VIP-Behandlung zu erwarten, aber um diese besonders anstrengenden Patienten ist es ja nicht schade, wenn sie der Praxis den Rücken kehren.


„Hätte ich mich anders verhalten sollen?“, fragte ich mich aber jetzt auf der Heimfahrt selbstkritisch und überschlug das Honorar für Besuch, Wegegeld und Wochenendzuschlag im Kopf. Zunächst schalt ich mich eine Närrin und versprach mir selbst, mit den nächsten Privatpatienten ein wenig toleranter umzugehen. Aber schon nach einer Weile erwischte mich die kalte Erkenntnis: „Das schaffst du doch nicht!“


Verkäuferinnen in Modegeschäften, Kellner, städtische Bedienstete: Sie alle müssen sich unglaubliche Dinge von ihren Kunden gefallen lassen. Polizisten werden von Bürgern beschimpft, Raumpflegerinnen herrisch zur Seite gewinkt, Handwerker abgekanzelt. Während ich nach Hause fuhr, zog ich vor all jenen den Hut, die den Rüpeln in ihrem Leben mit Geduld, Toleranz und Tapferkeit begegneten. Vielleicht würde ich von ihnen lernen können, mich von arrogantem Gehabe nicht abschrecken zu lassen?

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