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Gefahrenlage falsch eingeschätzt

Aus der Redaktion Autor: Michael Reischmann

© MT
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Bei der telefonischen Krankschreibung musste der G-BA eine rasante 180-Grad-Wende hinlegen. Richtig so. Ein Kommentar.

Allmähliche Rückkehr zur Normalität. Der Gemeinsame Bundesausschuss wollte hierzu mit dem Ende der telefonischen Krankschreibung offenbar ein Zeichnen setzen. Und musste nach einem Sturm des Protests von Ärzten und Gesundheitsministern einsehen, dass dies eine sofort zu korrigierende Fehlentscheidung war. Was für ein Eigentor des sog. „Kleinen Gesetzgebers“!

Der Unabhängige Vorsitzende des G-BA, Professor Josef Hecken, versuchte den Zickzack-Kurs des Gremiums mit „unterschiedlichen Einschätzungen zur Gefährdungslage“ zu erklären. Das überzeugt schon angesichts des Masken-Boheis niemanden.

Die im Ausschuss überstimmte KBV führt den „großen Druck der Arbeitgeberseite“ als eine Erklärung dafür an, warum trotz Infektionsrisiken und knapper Schutzausrüstung die ärztliche AU-Feststellung bei leichten Atemwegsbeschwerden nur wieder nach körperlicher Untersuchung möglich sein sollte. Schließlich trifft eine 14-tägige (seit dem 20. April siebentägige und einmalig um eine Woche verlängerbare) Krankschreibung in erster Linie die Lohnfortzahlung der Arbeitgeber.

Daten der Barmer zeigen, dass mit Einführung der telefonischen Krankschreibung in der 11. Kalenderwoche die AU-Fälle wegen akuter Atemwegserkrankungen bei Arbeitnehmern um 50 % in die Höhe schnellten. In der 13. Kalenderwoche meldeten sich 120 % mehr Versicherte krank als ein Jahr zuvor (wobei nicht einmal jeder 25. von COVID-19 betroffen war). Welcher Anteil davon auf Blaumacher entfällt, ist unklar. Die konnten sich aber auch schon zuvor von Internet-Doktoren einen gelben Schein zuschicken lassen. Und angesichts der Abermilliardenschäden sind das sowieso Peanuts.

Die Corona-Pandemie hat „viele bisher als unumstößlich geltende Grundsätze im Gesundheitswesen über Bord geworfen“, stellt Baden-Württembergs KV-Chef Dr. Nobert Metke treffend fest. „Seitdem ist die Videosprechstunde in der Versorgung angekommen, können Ärzte ihre Patienten per Telefon beraten.“ Das funktioniert gut und hat viele vermeidbare Arztbesuche unnötig gemacht. Niemand sollte diese Entwicklung auch nach der Pandemie zurückdrehen wollen. Sie schafft ärztliche Zeit für Fälle, die eine intensive Zuwendung brauchen. Wenn kein Vertrauen in die ordnungsgemäß erbrachte telefonische Krankschreibung besteht, laufen die vielfältigen Bemühungen um Telemedizin und Videosprechstunde ins Leere. Dabei will Jens Spahn doch hier den großen Sprung nach vorn schaffen.

Michael Reischmann
Ressortleiter Gesundheitspolitik

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