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Gras von Gröhe: Ärger ohne Ende

Autor: Dr. Günter Gerhardt

Mehr als 1,0 ng/ml THC im Blut sind ordnungswidrig. Mehr als 1,0 ng/ml THC im Blut sind ordnungswidrig. © iStock.com/Yarygin
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Das Thema in unserer Praxiskolumne: Die Verordnung von Cannabis auf Rezept ist inzwischen möglich, doch damit gehen neben der Bürokratie auch Probleme einher. Was ist zum Beispiel, wenn sich die Patienten ans Steuer setzen?

Seit März 2017 dürfen wir Cannabis auf Rezept verordnen. Unser ehemaliger Gesundheitsminister wollte damit etwas Gutes tun. Er hat allerdings mit diesem Alleingang die Krankenkassen verärgert – was zu einem riesigen Bürokratiemonster führte.

Die Suppe auslöffeln dürfen mal wieder die Kassenärzte. Wir müssen komplizierte Anträge beim MDK stellen, die in der Regel erstmal abgelehnt werden, sodass wir gezwungen sind, zu widersprechen. Oft wenden sich auch die Patienten über ihren Anwalt an das Sozialgericht, welches dann Fragen an uns weiterleitet, die zeitaufwendig und zum Nulltarif beantwortet werden müssen. Zu allem Überfluss stellen dann noch einige Krankenkassen Anträge bei der Gemeinsamen Prüfungseinrichtung auf Überprüfung der Wirtschaftlichkeit in einem Einzelfall.

Und dann geht der Ärger weiter: Patienten, denen wir Cannabis verordnet haben, bitten uns um Atteste. Sie hätten Post von der Polizei erhalten, es sei aufgefallen, dass sie unter dem Einfluss von Cannabis ein Fahrzeug geführt haben. Aus dem Attest soll hervorgehen, warum und wie lange sie sich der Cannabistherapie unterziehen müssen. Darüber hinaus müsse es auch eine ärztliche Stellungnahme nach den Begutachtungsleitlinien enthalten, die zu ihrer Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen unter dem Einfluss von Cannabis aussagekräftig sei. Doch diesem Ansinnen können wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, zum aktuellen Zeitpunkt vor dem Hintergrund dürftiger bzw. gar keiner wissenschaftlichen Erkenntnisse auf keinen Fall nachkommen!

Die Problematik ist auch in anderen Ländern aufgepoppt – doch eine entsprechende Studie zum Thema Cannabis im Straßenverkehr hat leider keine Eindeutigkeit ergeben. Das Aufstellen einer Faustregel zum Cannabis-Konsum für Autofahrer ist für die US-Wissenschaftler nicht möglich, da bislang kein Grenzwert festgelegt werden konnte, wann Cannabis-Patienten bedenkenlos Auto fahren dürfen.

Und Daten aus Deutschland zu dem Thema fehlen bisher. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass bei einer den analytischen Grenzwert von 1,0 ng/ml erreichenden THC-Konzentration im Blut auf ein objektiv und subjektiv sorgfaltswidriges Verhalten im Sinne des § 24a Abs. 2 und 3 Straßenverkehrsgesetz geschlossen werden kann (Beschl. v. 14.2.2017, Az.: 4 StR 422/15).

Wer also mehr als 1,0 ng/ml THC im Blut hat, handelt ordnungswidrig. Diese Regel gilt laut BGH auch dann, wenn der Cannabiskonsum schon länger zurückliegt. Es sei denn, eine „gehörige Selbstprüfung“ ergibt etwas anderes. Ein Strafverfahren drohe den fahrenden Cannabis-Konsumenten, die aufgrund der Wirkung nicht in der Lage seien, ein Fahrzeug „sicher zu führen“, etwa wenn es zu Ausfallerscheinungen komme, antwortete die Bundesregierung 2017 auf eine Anfrage der Linken-Fraktion.

Einschränkend muss festgehalten werden, dass für den Hauptwirkstoff des THC keine eindeutigen Konzentrations-Wirkungs-Beziehungen existieren. Bei regelmäßiger Einnahme spielen Faktoren wie Adaptionsprozesse, Toleranzentwicklung und individuell unterschiedliche Wirkungsintensität eine wesentliche Rolle. Das Verkehrsrisiko unter Cannabiseinfluss hängt – nachzulesen in „Fahreignungsbegutachtung bei Cannabismedikation“ der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie DGVP – weniger vom Wirkstoffspiegel ab als eher von

  1. dem Motiv der Einnahme/des Konsums und der Wirkungserwartung,
  2. der allgemeinen psychophysi­schen Leistungsfähigkeit,
  3. der spezifischen Wirkung vor dem Hintergrund der Auswirkungen der Vorerkrankung,
  4. der Toleranz und Gewöhnung,
  5. der Anpassungsbereitschaft der Person und der Bereitschaft zu risikovermeidendem Verhalten sowie
  6. der Wahrnehmung und Beurteilung riskanter Verkehrssituationen.

Es liegt in der Verantwortung des Betroffenen, die Teilnahme am Straßenverkehr zu vermeiden, wenn die Fahrsicherheit durch die Symptome der Erkrankung oder die Wirkung der Medikation bzw. durch das Nachlassen/Fehlen der Wirkung aktuell beeinträchtigt ist. Ich kann nur empfehlen, das geforderte Attest genau so vage zu formulieren, wie es die DGVP tut.

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