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Große Abzocke bei Pflegeleistungen

Autor: Cornelia Kolbeck

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Seit einem Medienbericht über umfangreichen Abrechnungsbetrug bei Pflegediensten steht die Branche unter Generalverdacht. Wir helfen und klären auf, melden die Krankenkassen; die Politik verfällt in Aktionismus.

Angefangen hat alles mit einem Dokument des Bundeskriminalamtes (BKA), aufgedeckt vom Bayerischen Rundfunk und der "Welt am Sonntag". Darin heißt es: "Beim Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen durch ambulante Pflegedienste, die mehrheitlich von Personen aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion geführt werden, handelt es sich um ein bundesweites Phänomen." Der Schaden beträgt laut BKA jährlich mindestens einer Milliarde Euro.

Pflegedienste mit wechselnden Namen

Medical Tribune berichtete Ende 2015 über Stephan von Dassel, Sozialstadtrat von Berlin-Mitte. Er hatte mit seinen Mitarbeitern vom Sozialamt bei Menschen, die ambulante "Hilfe zur Pflege" (HzP) erhielten, genauer hingeschaut und so Pflegebetrug im großen Stil durch russische Dienste aufgedeckt. Von Dassel geht davon aus, dass bei ausreichendem und gut geschultem Personal die Sozialbehörden bundesweit mindestens zwei Milliarden Euro einsparen können. Einsparungen der Pflege- und Krankenkassen noch nicht mitgerechnet.

In Nordrhein-Westfalen sind ambulant tätige Pflege- und Betreuungsdienste nach Bekanntwerden der BKA-Ermittlungen von Sozialministerin Barbara Steffens (Grüne) verpflichtet worden, ihre Tätigkeit bis 30. Juni 2016 bei den zuständigen Aufsichtsbehörden der Kreise und kreisfreien Städte zu melden. Bei Nichtmeldung droht ein Bußgeld von 20 000 Euro. Die Ministerin erhofft sich dadurch bessere Kontrollmöglichkeiten.

Dass eine solche Kontrolle aber nicht so einfach funktioniert, wie gedacht, hat der Berliner Sozialstadtrat erfahren müssen. Das Problem ist, dass diese russischen Dienste oft nur kurz auf dem Markt sind, dann verschwinden, um mit nahezu gleichem Personal aber anderem Namen später wieder aufzutauchen. Als Grund vermutet der Stadtrat, dass Prüfungen von Steuern und Sozialabgaben bei Neugründungen nicht so restriktiv erfolgen wie bei älteren Unternehmen. Bevor etwas auffällt, sind die Unternehmen somit schon wieder untergetaucht.

Eine von der AOK Bayern dem Gesetzgeber vorgeschlagene Regelung könnte alles ändern. Sie zielt auf eine Erweiterung des Antikorruptionsgesetzes auf Pflegeleis­tungen der Kranken- und Pflegekassen. Darüber hinaus sollen den Landesverbänden der Pflegekassen polizeiliche Führungszeugnisse der leitenden Pflegefachkraft und ihrer Stellvertretung sowie Qualifizierungsnachweise für das eingesetzte Personal vorgelegt werden müssen. Die AOK fordert ferner ein bundesweites Register, in dem Zulassungsentziehungen wegen Abrechnungsbetrug und ordnungsrechtliche Betriebsuntersagungen personenbezogen gespeichert werden.

Transparency Deutschland: Der Staat muss handeln

"Von unseren Vorschlägen würden vor allem seriöse Pflegedienste und Pflegekräfte profitieren", erklärte AOK-Chef Dr. Helmut Patzer. "Durch die Betrugsfälle beschädigen einzelne Kriminelle das Image einer ganzen Branche", ärgert sich auch der Vorstand der DAK-Gesundheit. Die Ersatzkasse hat inzwischen eine Telefon-Hotline zum Pflegeskandal eingerichtet.

Eine für Interessenkonflikte anfällige Struktur und ein komplexes Abrechnungssystem führen zur Intransparenz gegenüber den Beitragszahlern und begünstigen die organisierte Kriminalität, ist Christoph Jaschke, Leiter der Arbeitsgruppe Pflege und Betreuung von Transpa­rency Deutschland überzeugt. "Wir erwarten vom Gesetzgeber, dass der Staat die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen vor Betrügereien schützt und Rahmenbedingungen für transparente und nachvollziehbare Pflegeleistungen schafft."

Olaf Bentlage, Pressesprecher des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste, warnt davor, nun alle Pflegedienste, die eventuell von russischstämmigen Bürgern gegründet wurden, unter Generalverdacht zu stellen: "Eine ganze Bevölkerungsgruppe zu verunglimpfen, hilft nicht weiter."


Quelle: Medical-Tribune-Bericht

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