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Hausarzt Dr. Carl-Heinz Müller: KBV adieu, Familie und Praxis gehen vor

Gesundheitspolitik Autor: Michael Reischmann

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Weg vom Zentrum der Macht, wo Politik, Selbstverwaltung und Lobbyismus ihre größte Wirkung auf die gesundheitliche Versorgung im Land haben, zurück in die Praxis am Rand der Republik. Dr. Carl-Heinz Müller hat diese Entscheidung getroffen.

Fast genau ein Jahr nach seiner Wiederwahl als KBV-Vorstand ist dieses Kapitel für Dr. Müller abgeschlossen. Mit einer Vertragsauflösung – fünf Jahre vor dem vorgesehenen Ende – hat er zum 29. Februar seinen hauptamtlichen Job in Berlin aufgegeben. Jetzt praktiziert er  wieder in seiner Hausarztpraxis in Trier und kann mehr Zeit mit seiner Ehefrau, die als Zahnärztin im nahen Luxemburg arbeitet, und den beiden Kindern (zwei und vier Jahre) verbringen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie – eines der Megathemen der Ärzteschaft – hat den 56-jährigen Allgemeinarzt zu dieser Entscheidung bewegt.

Die gut gehende Praxis, die vor über 50 Jahren in Dr. Müllers Geburtshaus vom Vater eröffnet wurde, muss der „Hausarzt mit Herzblut“ vorerst alleine schmeißen. Denn seit sein einstiger Gemeinschaftspraxispartner und die Entlastungsassistentin an anderer Stelle tätig sind, musste ein Vertreter – ein 72-jähriger Arzt und Jazzmusiker – den Betrieb aufrechterhalten. Als KBV-Vize schaffte es Dr. Müller etwa zwei- bis dreimal im Monat, freitags in der Praxis zu stehen.

Was er nicht erwartet hatte: Alle Bemühungen, Verstärkung für die Praxis zu finden, scheiterten. Auch nach mehr als einem halben Jahr Suche war niemand für eine Vollzeittätigkeit zu finden. So wurde der Hausärzte-/Nachfolgermangel mitentscheidend für Dr. Müllers Rückkehr an die Mosel. Allerdings sieht er die Zukunft nicht in der Einzelpraxis, sondern in der Teamarbeit „in einem echten Ärztehaus“.

Wie viele KV-Hauptamtliche hält auch Dr. Müller es für sinnvoll, wenn ärztliche KV-Vorstände einige Stunden in eigener Praxis arbeiten. Zum einen sei dies es ein Sicherheitsnetz. Zum andern helfe es praxisorientierte Politik zu machen.

Dementsprechend bekommt der Allgemeinarzt schon ab 1. April die gesetzliche Re-Regionalisierung der Honorarhoheit zu spüren, denn die KV Rheinland-Pfalz legte als Erste einen neuen HVM mit Individualbudgets statt RLV vor. Die „Wiederaufbauphase“ der Praxis wird dennoch mit einer deutlichen finanziellen Einbuße verbunden sein, räumt Dr. Müller ein – schließlich stand ihm als KBV-Vize seit 2011 ein (vom BMG als zu üppig kritisiertes) Jahressalär von 300 000 Euro zu.

Ein Gesetz für einen attraktiven Arztberuf

Dass mit dem GKV-Versorgungsgesetz Möglichkeiten geschaffen wurden, den Arztberuf attraktiver zu machen, zählt Dr. Müller zu den Verdiensten der KBV, die in seiner Amtszeit seit 2007 erreicht wurden. Die Vergütungsreform mit der Anpassung der Honorare in Ost und West und der Trennung der haus- und fachärztlichen Honoraranteile hat er auf seiner Erfolgsliste stehen.

Auch die Aufwertung der Hausbesuche sei „richtig und nicht linke Tasche, rechte Tasche“ gewesen, da sie den Kollegen zugute komme, die die Hausbesuche machen. Das bundesweit eingeführte Hautkrebsscreening verbucht er auf der Plus-Seite, die Präventionsinitiative, die KBV-Vertragswerkstatt (z.B. Pflegeheimbetreuung, ADHS), die Verdoppelung der ambulanten Weiterbildungsförderung in der Allgemeinmedizin, die Verbreitung von KV-Safenet usw.

Auch die 73b-Add-on-Verträge sieht er positiv. Über deren Innovationskraft lasse sich vielleicht streiten, antwortet er, aber der Honorarvorteil zählt. Dass sich bei Wettbewerb von Kollektiv- und Selektivvertrag Wesentliches tun wird, erwartet der erfahrene Standespolitiker frühestens nach der nächsten Bundestagswahl. Im Gesundheitsfonds sieht er ein Hindernis, das die Kassen von neuen Versorgungsangeboten abhält. Er wiederholt seine Kritik an der lückenhaften ambulanten Palliativversorgung („40 % Flächendeckung“).

Zu Dr. Müllers wichtigen Arbeitsbereichen als KBV-Vize gehörten die Arzneimittelpolitik und die Gematik. Seinen Kampf gegen Richtgrößen und Regress, denen er ein gravierendes Verschreckungspotenzial beim ärztlichen Nachwuchs attes­tiert, konnte er nicht beenden.

Schon als Chef der fusionierten KV Rheinland-Pfalz hatte er sich 2006 vehement gegen die „un­ethische“ Bonus-Malus-Regelung des AVWG gewandt und auf Zielpreisvereinbarungen in Kooperation mit den Apothekern gesetzt. Nun erhofft er sich viel von dem KBV-ABDA-Modell mit Wirkstoffverordnung, Arzneimittelkatalog (1. und 2. Wahl) und Medikationsmanagement. Dass bei Letzterem schon der Barmer-Hausarzt-/Hausapotheker-Vertrag nicht punkten konnte, führt Dr. Müller auf fehlende Schulungen und Überzeugungsarbeit zurück. Das soll beim ABDA-KBV-Modell, das voraussichtlich ab 2013 regional erprobt wird, besser klappen.

Die Online-Anwendung der elektronischen Gesundheitskarte mit Mehrwert für die Versorgung (Notfalldaten, ärztliche Kommunikation) erwartet Dr. Müller erst ab 2014. „Gegenüber der Ärzteschaft habe ich die Gesundheitskarte immer verteidigt. Anders als bei Ärztetagen gab es keine Beschlüsse der KBV zu einem Stopp der Karte. Aber ich kann mich nicht von den Krankenkassen vorführen lassen“, ärgert er sich über seine Erlebnisse in der Gematik. Sein Vertrauen in den GKV-Spitzenverband habe er verloren, als dieser „hinter dem Rücken“ die rasche Einführung des Online-Stammdatenabgleichs ohne weitere Anwendungen vorbereitet habe. Obwohl der Kassenplan abgewendet wurde, brachte dieses „Verbrennen von Lebenszeit“ den Hausarzt dazu, bei der KBV-Vertreterversammlung im Dezember 2011 überraschend seinen Rücktritt anzukündigen.

Wer sein Nachfolger oder seine Nachfolgerin im KBV-Vorstand wird, ist derzeit offen. Wahltermin ist der 21. Mai. Große Aufgaben sieht Dr. Müller in der neuen Bedarfsplanung ab 2013 und in der Anpassung des EBM, der für die Hausärzte weniger Pauschalierungen und dafür die Aufwertung zeitintensiver Leistungen bringen soll.

Haus- und Fachärzte – Frieden ist eingekehrt

Seine KBV-Vorstandsjahre waren „eine tolle Zeit“, sagt Dr. Müller. Er lobt die „offene, transparente“ Zusammenarbeit mit Dr. Köhler. Die beiden harmonierten weit besser als das vorherige Duo Köhler/Weigeldt.

„Die Zerklüftung Haus­ärzte/Fachärzte, die es gab, als ich herkam, ist überwunden. Seit einem Jahr gibt es keine getrennten Vorbesprechungen vor Vertreterversammlungen mehr, sondern gemeinsame von Haus- und Fachärzten.“ Auch die anfängliche Aufregung um die Opposition FALK (Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern) hat sich gelegt. Offenbar haben sich alle Beteiligten passend eingerichtet. Vielleicht erklärt das auch, warum der hausärztliche KBV-Posten in Berlin die nächs­ten Wochen unbesetzt bleibt.

Dr. Müller will jetzt Abstand zur Hauptstadt gewinnen und seine Patienten nicht mit Berufspolitik behelligen.    

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