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Herbstblues-Gedanken über Ärzte in der Politik

Autor: Dr. Robert Oberpeilsteiner

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Vom Bambusstab und Blasensprung in der Politik. Über seine herbstlichen Gedanken berichtet MT-Kolumnist Dr. Robert Oberpeilsteiner.

Na klasse! Typisch. Ich komme an und die Ampel schaltet schnell auf Rot. Die einzige Ampel weit und breit. Das passt zum Tag. Es begann schon damit, dass die Frühstücksmilch im Kühlschrank sauer war. Dann, mittags beim Einkaufen, wurde mir die letzte Packung meines geliebten Wacholderschinkens direkt vor der Nase weggeschnappt. Dabei hätte ich schwören können, die junge Frau vor mir wäre Veganerin.


Man hat ja so Bilder im Kopf. Junge Frau, schlank, saure Zitronenbonbons lutschend. Die Idee der Grünen mit dem Veggie-Day fanden meine Frau und ich übrigens gar nicht schlecht. Nur schlecht gemacht. Massentierhaltung ist und bleibt ein schmutziges Geschäft. Ich weiß. Daher kaufe ich auch vom Wacholderschinken immer nur die kleinstmögliche Menge ein, quasi N1.


Spätestens jetzt war die Sache klar. Mich hat der Herbstblues erwischt. Dieser Zustand kollektiven Grantelns. Er ist eine speziell bayerische Variante der Herbstdepression. Man steckt sich damit an, wenn die Tage allmählich kürzer werden, feuchtkalte Herbstnebel aufziehen und das nächste Oktoberfest noch zu weit weg ist, als dass man sich schon darauf freuen könnte.

»Berliner Transusen endlich aufmischen«

Doch warum soll einem in so einer nachdenklichen Stimmung nicht der eine oder andere gute Gedanke kommen? Es war in der Zeit nach den Bundestagswahlen. In Berlin hatte ein atemberaubendes Grübeln um eine Koalition begonnen. Sie nannten es Sondierungsgespräche. Mir kam jedenfalls während einer schweren Bluesattacke die Eingebung, es wäre gar nicht schlecht, wenn wir möglichst viele ärztliche Kollegen an der politischen Front hätten. Sie würden zupacken und unsere Probleme endlich lösen. Nebenbei könnten sie die zögerlichen Transusen in Berlin mal so ordentlich aufmischen.


Wie war das eigentlich im letzten Bundestag? Damals hatten – wie so oft – Juristen und Lehrer das Gros gestellt. Logisch. Aber auch sechs Studenten, sieben Ärzte und eine Klavierlehrerin hatten sich nach Berlin getraut. Zur Klavierlehrerin äußere ich mich besser nicht. Sonst habe ich plötzlich einen Minderheitenbeauftragten oder eine -beauftragte am Hals.


Was ich aber insgeheim befürchtete, wurde bestätigt: Es waren gefühlt wenige Mediziner im Bundestag. Wenn man jetzt noch Karl Lauterbach zu den Oberlehrern zählt, was für mich durchaus Sinn macht, dann waren es nicht mehr Mediziner als Studenten. Stimmt es vielleicht doch, dass wir den schönsten Beruf haben? Keiner will ihn aufgeben. Und das ganze Gemeckere und Gejammere soll nur dazu dienen, dass dies niemand merkt? 


Eine weitere Frage, die mich interessierte, war: Wie gut sind die zu Abgeordneten transformierten Heilkundler auf ihren neuen Job vorbereitet? Manche planen ihre politische Karriere ja von langer Hand. Auch bei Frau von der Leyen kann ich mir einen spontanen Entschluss, so aus dem Bauch heraus, nicht wirklich vorstellen. Oder gar Politik als  Kurzschlussreaktion.

»Mit vorzeitigem Blasensprung in die Rentenpolitik«

Woher aber wusste sie schon in jungen Jahren, dass man sich wissenschaftlich am besten auf vorzeitigen Blasensprung und Entspannungsbäder spezialisiert, um später für Diskussionen um den Rentenbeitragssatz gerüstet zu sein? Da muss man erst einmal darauf kommen. Vermutlich ist es das, was man politischen Instinkt nennt.


Vielleicht habe ich aber auch eine falsche Vorstellung darüber, was man in der Politik braucht. Als altmodischer Mediziner bin ich gewohnt, abzuwägen. Politik hat hingegen mehr Abenteuerliches an sich; dazu muss man eben risikobereit sein. So wie Exkollege Rösler, der einmal in einem Interview sagte: „Es gibt wenige Berufe, die so spannend sind wie der eines Politikers.“ Er hatte wohl damals schon so gewisse Ahnungen. 


Meine Frau ist übrigens treuer Rösler-Fan. Auch wenn sie findet, dass er manchmal etwas überzieht. „Der Bambus wiegt sich im Wind und biegt sich im Sturm, aber er bricht nicht“ war so ein Satz, den sie nicht mochte. „Da war mir der Wetterbericht vom Kachelmann noch lieber“, kommentierte sie trocken. Sie fand es auch schade, dass Rösler in die Politik gegangen war. „Er hätte soo eine Karriere als Augenarzt vor sich gehabt.“ Und dazu hat uns die KBV  erst kürzlich wissen lassen, dass die Augenärzte ihre Reinerträge deutlich erhöhen konnten. Aber nein, stur wie ein Niedersachse nun mal ist,  musste er ja unbedingt in die Niederungen der Politik gehen! Dort, wo man das Gras wachsen hört. Oder den Bambus, egal.


„Da soll man nicht ins Grübeln kommen“, meinte sie dieser Tage. Sie wirkte etwas müde. Hat sie sich etwa bei mir angesteckt? Wirklich gute Freunde empfehlen in solchen Fällen die ambulante Lichttherapie. Während sie selbst in die Karibik fliegen. Vielleicht kaufe ich uns aber eine CD. Mit gefühlvollem Bayern-Blues von Willy Michl. Isarflimmern. Die werden wir uns dann gemeinsam anhören. Und kein einziges Wort über Politik verlieren. Vielleicht hilft’s ja.

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