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Hilfsbereitschaft contra bürokratische Trägheit

Autor: Dr. Cornelia Tauber-Bachmann

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Woran liegt es, dass Hilfe für misshandelte Frauen nur von neun bis 13 Uhr angeboten wird? Dr. Cornelia Tauber-Bachmann sieht die Ursache in der Bürokratie.

Ich war gerade mit der Nachmittagssprechstunde fertig. Und da ich an diesem Abend nichts Besonderes vorhatte, wollte ich mir ein schönes Essen für einen gemütlichen und entspannten Abend zubereiten. Doch dazu kam es nicht: Mein Handy klingelte und ich wurde zu einem Hausbesuch gerufen. Dort angekommen, fand ich zwar die Frau des Hauses vor, die seit einigen Jahren bei mir Patientin ist, sie war aber höchst munter und gesund – allenfalls etwas angespannt und aufgeregt. Denn: In ihrem Wohnzimmer saß eine blutjunge Frau, die am ganzen Körper zitterte, ja richtiggehend schlotterte. Das war also heute die „Patientin“.


Auf meine Fragen hin berichtete die junge Frau, sie sei aus Norddeutschland, hier in unsere Gegend zwangsverheiratet worden und nun in der 14. Woche schwanger. Ihr Mann habe sie mehrmals geschlagen und nun sei sie hierher zu ihrer Arbeitskollegin geflüchtet. Sonst kenne sie hier niemanden, zu dem sie gehen könne. Sie sprach fließend Deutsch ohne Akzent. Und mit ihrem langen braunen Haar, der blassen Haut und ihrer unauffälligen Kleidung sah ich ihr auch nicht auf den ersten Blick den sogenannten Migrationshintergrund an.

«Dauer der ganzen Aktion: drei Stunden. Verdienst: null.»

Was tun? Das Medizinische war relativ schnell erledigt. Mit der entsprechenden Medikation beruhigte sich die Frau nach einigen Minuten und konnte auf meine weiteren Fragen antworten: Nein, sie wolle nicht mehr zu ihrem Mann zurück. Sie habe große Angst, dass er seine Freunde und Verwandten zusammentrommle und sie zurückholen wolle. Sie wisse nun nicht mehr weiter, habe keine Ahnung, wohin sie solle und wie es weitergehen könne mit ihr. Und ihrem Kind.


Und nun wurde der Abend lang. Ich telefonierte im Wechsel mit der hilfsbereiten älteren Kollegin meiner jungen Patientin alle Frauenhäuser in der näheren, weiteren und sehr weiten Umgebung ab. Außerdem die für einen solchen Fall zuständigen Sozialeinrichtungen.


Meist wurden wir schon mit dem Anrufbeantworter abgespeist. „Unsere Bürozeiten sind von 9.30 bis 14.00 Uhr.“ „Bitte wenden Sie sich an die Telefonseelsorge.“ Oder: „Außerhalb der Bürozeiten wählen Sie bitte 110.“


In einem der Frauenhäuser erreichte ich zwar den Bereitschaftsdienst, aber nur, um die Auskunft zu erhalten, dass dieses Haus bis unters Dach voll sei. Und unter vielen weiteren Telefonnummern: Erfolg s.o. Das bundesweite Hilfe-Telefon war über Stunden besetzt. Ein Frauen­haus zirka zwei Stunden entfernt, sah sich trotz freiem Platz und trotz Transportzusicherung durch den Mann meiner längjährigen Patientin außerstande, die verängstig­te Frau aufzunehmen. Das ältere Ehepaar – in dessen Haus sich die Schwangere geflüchtet hatte – fürchtete nun, dass der schlägernde Ehemann bei ihnen aufkreuzen könne, weil er diese Adresse kannte.


Schließlich riefen wir unsere eigenen Freunde und Bekannten an, um einen sicheren Aufenthaltsort für die junge Frau bis zum Beginn der Bürozeiten zu finden. Wir fanden eine! Eine alleinerziehende Mutter von vier Kindern war bereit, die verängs­tigte Frau aufzunehmen.


Dauer der ganzen Aktion: drei Stunden. Verdienst: 0 Euro. Wo keine Handtasche, da kein Versicherungskärtchen. Es ist schon sehr frustrierend, keinen Ansprechpartner oder – in diesem Fall eher – keine Ansprechpartnerin zu finden, wenn es wirklich mal nötig ist. Zumindest von offizieller Seite. Die alleinstehende Mutter hat nicht lange gezögert mit ihrem Hilfsangebot. Dabei hätte sie wahrscheinlich einen freien Abend viel nötiger gehabt als ich.

»Prügeln
 Männer nur zwischen 
9 und 13 Uhr?«

Ist es wirklich ein Geldproblem, dass die relevanten Telefone nachts nicht besetzt sind? Oder pflegen gewalttätige Ehemänner nur von 9 bis 13 Uhr zu schlagen?


Natürlich weiß auch ich nicht, ob die junge Frau die Wahrheit gesagt hat. Aber zunächst geht es ja wohl darum, ihr Sicherheit zu gewähren. Alles Weitere lässt sich dann im Laufe der Zeit herausfinden und vielleicht klären.


Nahezu jeden Tag lesen wir in einer Zeitung, wie fremdenfeindlich wir Deutschen doch sind und wie wir uns bemühen sollten, ein weltoffenes Einwanderungsland zu werden. Für uns, für unsere Wirtschaft, für den Erhalt der Bevölkerung. Ich glaube nicht an die Fremdenfeindlichkeit der Menschen, eher an die bürokratische Trägheit der Herzen. 

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