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Hurra, die Praxisgebühr ist endlich abgeschafft

Autor: Dr. Frauke Höllering

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Rollt jetzt die Notfallschwemme auf uns zu? – fragt MT-Kolumnistin Dr. Frauke Höllering

Holt den Sekt und die Gläser raus! Ach, was sag ich … Heute muss es schon Champagner sein, denn man hat gerade das Ende der Praxisgebühr beschlossen!“. So dachte ich, als ich im Radio hörte, dass sich die FDP in der Koalitionsrunde durchgesetzt hatte: Der Beschluss war nun gefasst, die Praxisgebühr ab 2013 abzuschaffen.


Ach, die gute alte FDP! Fast wurde ich ein bisschen rührselig. Ihr hatte ich Zeit und Geld gewidmet, mich im Landesfachausschuss engagiert und dann frustriert zurückgezogen, weil alles, was wir dort taten, irgendwie im Sande verlief. Ihr hatte ich die Freundschaft gekündigt, weil sie das Rauchverbot aufweichen wollte, und nur aus Faulheit war ich nicht ausgetreten.


Herrn Rösler fand ich farblos, Herrn Bahr einen „Dampfplauderer“; einzig Herrn Brüderle gehörte mein ganzes Herz, diesem wein- und menschenseligen älteren Herrn, dessen profunde Sachkenntnis unter steter Gutgelauntheit nicht immer gleich augenfällig wurde. Aber leider wurde er nie Bundesgesundheitsminister.

»Keine Angst mehr vor Räubern und Dieben«

Nun hatte es Minister Bahr tatsächlich geschafft und das Bürokratiemonster Praxisgebühr in den Orkus gejagt. Was für eine Freude! Keine Quittungen, Diskussionen und Mahnungen mehr. Keine schnellen Gänge zur Sparkasse, um die gefüllte Kasse am Quartalsanfang nicht zu verlockend für Diebe werden zu lassen. Keine Wechselgeld-Debatten und „Ich-habe-gerade-keine-zehn-Euro-Diskussionen“, keine Erinnerungsanrufe, keine alten Damen mehr, die beim Notfalldienst am Wochenende mit zittrigen Händen ihren letzten Rentenzehner aus der Handtasche klaubten.


Dennoch ließ ich den Champagner im Keller. Nicht nur, weil ich wahrscheinlich gar keinen besitze (vielleicht verstaubt da noch eine einsame geschenkte Flasche), sondern auch, weil sich ein Champagnerrausch schlecht mit einem Montagmorgen in der Praxis verträgt.


Auf dem Hinweg überlegte ich aber gut gelaunt, was unsere Mitarbeiterinnen mit der gewonnenen Zeit anfangen würden. Diktierte Briefe schreiben, das Archiv sortieren oder endlich wieder so lange frühstücken, wie es ihr Tarifvertrag eigentlich vorsieht? Oder würden sie sich gar noch besser um die Patientinnen und Patienten kümmern? Die schöne neue Welt schien mit den Händen greifbar.

»Drängen die Patienten jetzt in den Notdienst?«

Die Euphorie hielt genau zwei Tage an, bis eine Kollegin auf einer Fortbildung fragte: „Was ist eigentlich mit der Notfalldienstgebühr?“ Die Runde schwieg. „Wenn die normale Gebühr wegfällt, wird diese auch entfallen“, meinte ich dann. „Sonst hätte man das ja nicht so allgemein formuliert.“ „Na, das wird ja was werden“, bemerkte ein Kollege, „wenn dann wieder alle am Mittwochnachmittag und am Wochenende zum Nofalldienst kommen!“ Die Runde war sich einig: Hier würden jene ungeliebten Patienten wieder auftauchen, die keine Lust hatten, sich unter der Woche bei ihrem Hausarzt ins Wartezimmer zu setzen – stattdessen mal eben nach dem Einkaufen gemütlich am Samstagvormittag vorbeischauen.


Erst wurde ich etwas nachdenklich, denn über diese Zeitgenossen hatte ich mich früher ziemlich geärgert. Auch über Patienten, die schon seit Tagen unter Problemen litten, wie jene Dame, die nachts um drei Uhr mit Rückenschmerzen kam, weil sie vom Pferd gestürzt war. „Sie reiten nachts um drei?“, fragte ich seinerzeit irritiert und übermüdet. „Nein“, so ihre Antwort, „der Sturz ist schon drei Tage her. Aber jetzt geht mir der Schmerz auf den Wecker.“


Manche dieser Patienten werden wir wieder begrüßen. Aber ein wenig anders wird es schon sein – alles nicht mehr ganz so angenehm. Denn die Notdienstbezirke sind so groß geworden, dass man nicht einfach bei einem der bekannten Hausärzte vorbeischlendern kann, sondern den Weg in eine vielleicht entfernte Notfallambulanz auf sich nehmen muss. Wenn sich dann die Ambulanzen noch so richtig füllen, würde man sie schon freiwillig meiden wollen; immerhin versorgen diese mittlerweile einen so großen Bezirk, dass es schon jetzt manchmal eine ganze Weile dauert, bis man aufgerufen wird. Wer würde sich das wegen Banalitäten oder „alter“ Leiden antun? Wahrscheinlich weniger Patienten, als ich zunächst befürchtete.


Darum beende ich jetzt meine Kolumne und gehe in den Keller, um den Champagner zu suchen. Es ist schließlich schon dunkel, und es gibt wirklich etwas zu feiern!

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