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Ich bin keine Marionette für Berufspatienten

Autor: Dr. Cornelia Tauber-Bachmann

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Unsere Kolumnistin über einen ganz besonderen Patienten, über Psychotherapie und geduldiges Zuhören. Wie viel muss sich eine Hausärztin bieten lassen?

Der Mann „in den besten Jahren“, also Mitte 40, ist seit ein paar Jahren in meiner hausärztlichen Behandlung. Nein, eigentlich ist er nicht in meiner Behandlung, jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinn. Er kommt ab und zu vorbei, um mir zu berichten, wie es ihm geht, welche Kollegen er konsultiert und welche Therapien er momentan macht. Interventionen meinerseits oder Therapievorschläge will er nicht hören oder er lehnt sie rundweg ab.

Zugegeben, der Patient ist schwerkrank. Neben einem Prostatakarzinom, das bereits ossär metastasiert hat, leidet er an einem Non-Hodgkin-Lymphom. Beides zusammen über kurz oder lang mit Sicherheit eine tödliche Kombination. Und das weiß er, so sagt er jedenfalls. Trotzdem, mir ist lange unklar, warum er zu mir kommt.

Die Labor- untersuchungen lässt er lieber bei seinen Onkologen machen – ja, er hat einen „für den Hodgkin“ und einen „für die Prostata“. Zum Urologen geht er natürlich sowieso. Und bei Fieber ins Krankenhaus. Und fachlichen Rat oder therapeutische Gespräche braucht er nicht. Meine Angebote bezüglich einer unterstützenden komplementären Therapie lehnt er genauso ab wie eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, wenn es ihm schlecht geht.

Er legt Wert darauf, keinen Tag an seiner Arbeitsstelle zu fehlen, will mit seinen Urlaubstagen auskommen. Deshalb möchte er auch nicht in eine Reha, die ihm nun wirklich zustehen würde! Was will der Patient also bei mir? Es dauert einige Zeit, bis ich es verstehe. Neben den naheliegenden Vorstellungen wie „er möchte jemandem zum Zuhören“ oder „er braucht eine feste zuverlässige Bezugsperson außerhalb seiner Familie“ beschleichen mich ganz unärztliche Ideen: Er möchte seine Überlegenheit beweisen gegenüber einer Haus­ärztin, die in seiner naturwissenschaftlichen Vorstellungswelt am wenigsten kann, da sie technisch nur die Basics in ihrer Praxis durchführt. Und diese Basics genügen seinen Ansprüchen nicht.

Die Idee, dass Medizin nicht nur aus Technik besteht und ärztliches Handeln davon völlig unabhängig ist, liegt ihm fern. Viel näher ist ihm der Gedanke, er müsse mich fortbilden, nicht informieren. Oder wie soll ich es sonst verstehen, dass er in die Praxis kommt und mir einen dicken Packen Fotokopien über seine Krankheit und ein neues Chemotherapeutikum da lässt? Der Patient ist zwanghaft strukturiert, das liegt auf der Hand.

Davon haben wir viele in den Praxen, aber eher ängstliche mit ellenlangen Fragelisten, mit Telefonaten nach ausführlichen Beratungen und Erörterungen über ihren Gesundheitszustand oder über die Dosierung ihrer Medikamente. Und jede Antwort, die sachlich auf die Fragen eingeht, löst eine neue Kaskade an Fragen aus. Aber dieser Patient fragt nicht, er setzt mich in Kenntnis! Ich denke, er braucht mich, um sich in seiner Welt zu stabilisieren und an den existenziellen Fragen nicht zu zerbrechen.

Nun gut, als „gelernte Psychotherapeutin“ stehe ich ihm halt dafür zur Verfügung, auch wenn er sich selbstverständlich nicht als Psychotherapie-Patient fühlt. Ich glaube, ein einziges Mal habe ich der Familie geholfen. In einem Gespräch legte ich dem Patienten nahe, seine halbwüchsigen Kinder über seine Erkrankung zu informieren. Natürlich lehnte er auch diesen Vorschlag ab, um mir bei einem seiner nächsten Besuche zu erzählen, er hätte mit seinen Kindern gesprochen. Das Gespräch sei sehr vertrauens- und verständnisvoll abgelaufen.

Dass die Asthmaanfälle seines ältesten Sohnes seither nicht mehr so häufig auftreten, erfuhr ich erst durch Nach­fragen. Das Ganze „verkaufte“ er mir selbstverständlich als seine eigene Idee – im Rückblick nicht das einzige Mal. Meine Ratschläge wurden offenbar öfter auf diese Weise umgemünzt. Nun hat seine Frau angerufen und um einen Hausbesuch für ihn gebeten. Mal sehen, was er diesmal von mir will.

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