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Ich hab‘ das Virus herbeigeschrieben

Autor: Dr. Robert ­Oberpeilsteiner

Was ein Glück, gilt das Kontaktverbot nicht für den besten Freund des Menschen! Was ein Glück, gilt das Kontaktverbot nicht für den besten Freund des Menschen! © iStock/LittleCityLifestylePhotography; Privat
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Unser Kolumnist wundert sich: Plötzlich wollen Fremde seinen Hund Gassi führen – und die Straßen sind wie leergefegt. Wann ist endlich Corona-frei?

Wohl jeder von uns wird zur Zeit durchgerüttelt. Für mich am schlimmsten waren die ersten Tage des Lockdown. Ich sah morgens aus dem Fenster, die Sonne strahlte über alle Backen, Vögel zwitscherten das volle Programm – und die Straße war menschenleer. Dann wurde mir klar, wie privilegiert ich bin. Als Rentner kann ich daheim bleiben, muss mich nicht von Patienten anhusten lassen. Während ich dies schreibe, erhalte ich einen Anruf: „Die Praxis deines Kollegen ist gerade zum dritten Mal ausgeräuchert worden.“ Pest und Cholera allerorten!

Daher mein Wunsch, Euch zu danken. Das war der Pflichtteil. Kommt aber von Herzen!

Doch jetzt zum eigentlichen Anlass, warum ich das Tintenfass geöffnet, den Federkiel gespitzt und, nach Jahren der Entsagung, noch einmal für Medical Tribune schreibe: Denn ich war es, der das Virus gebacken hat, sorry! Ich fühle mich dafür verantwortlich. Der Grund: Vor ungefähr einem Jahr machte ich mich an ein „Buchprojekt“. Ganz Pragmatiker, hatte ich überlegt: Worüber schreibt ein Mediziner am besten? Irgendwann kam ich auf die Idee mit dem Virus. Möglichst gruselig das Ganze. Wenn schon, denn schon. Und ich machte mich an die Arbeit. Womit jetzt Schluss ist.

Das Virus begann, meine Gedanken zu manipulieren

Als SARS-CoV-2 auftauchte, lähmte es als Erstes meine Schreibnerven. Dann begann es damit, meine Gedanken zu manipulieren. Redensarten bekamen eine neue Bedeutung. Nur ein Beispiel: Ziemlich jeder, der mal Werbung schaut, kennt den Spruch: Nur gucken, nicht anfassen. Die Schalke-Legende, die damit für Bier posierte, ist lange tot. Nein, sie ist nicht an Corona verblichen. Und ja, auch früher gab es Krankheiten und so mancher ist daran gestorben.

„Nur gucken, nicht anfassen“, dachte ich mir also beim behördlich erlaubten Gassigehen, als Kinder meinen frisch geföhnten Hund streicheln wollten. Dabei war ich froh, endlich selbst wieder mit ihm rausgehen zu können. Zuvor hatte ich mich vor Angeboten dafür nicht mehr retten können. Von Menschen, die ich nie zuvor gesehen hatte. Angeblich alles alte Nachbarn. Meine begehrte Aussie-Dame kann sich ebenfalls nicht an die Veränderungen gewöhnen. Sobald sie „Kontaktsperre“ hört, verkriecht sie sich mit ihrem Kauknochen unter den Tisch.

Ich weiß, Ihr habt andere Sorgen. Also versuche ich es ein klein wenig ernsthafter.

Meine Mutter in Michigan feierte kürzlich ihren 93. Geburtstag. Die birthday party verlief unamerikanisch leise. Zwar ist Mom, Gottseidank, bis auf ein paar Kleinigkeiten fit wie ein Turnschuh. Werde ich sie aber noch einmal wiedersehen? Die Grenzen sind dicht. Trump sind zur Zeit die Mexikaner lieber als, sagen wir mal, die Rheinland-Pfälzer. Sehr unsolidarisch, wo doch sein Opa Friedrich von dort stammt.

Noch einmal ein Blick aus dem Fenster. Mir fehlen vor allem die orangefarbenen Tischdecken am Ende der Straße. Sie gehörten zu einem kleinen Café, das kürzlich dicht machte. Die Obsthandlung gegenüber ist noch auf. Ihr Besitzer soll nicht viel jünger als sein Geschäft sein, das vor mehr als hundert Jahren gegründet wurde.

Lasst uns weiter Unfug treiben!

Jeden Morgen stellt er eine Tafel auf und beschreibt sie mit Kreide. Für mich sind seine Schriftzeichen wie Beschwörungsformeln. Und die Tafel wie eine letzte Bastion vor dem endgültigen Sieg des Bösen. Ich hoffe, sie hält durch bis endlich wieder Farbe in die Straßen kommt. Vielleicht streiche ich schon mal meine Wohnung neu. Sicher ist sicher. In Orange natürlich.

Und sorry noch mal, wegen des Virus. War nicht persönlich gemeint.

Bleiben – oder werden – Sie gesund! Und lasst uns weiter Unfug treiben! Unbotmäßig sein. Wie früher im normalen Leben. Es ist ein Zeichen unserer Widerstandskraft. Das mag das Virus nicht.

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