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Ich vermisse den roten Faden

Autor: Dr. Cornelia Tauber-Bachmann

Hausärzte kennen ihre Patienten und können ihre Zweifel und Ängste aufklären. Hausärzte kennen ihre Patienten und können ihre Zweifel und Ängste aufklären. © dusanpetkovic1 – stock.adobe.com
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Die Politik zweifelt an der Impfkompetenz der niedergelassenen Hausärzte. Wie hat das nur all die Jahre vor Corona funktioniert?

Mittlerweile hat wohl jede Hausärztin und jeder Haus­arzt mindestens einmal dieses Video über ihre bzw. seine sozialen Netzwerke erhalten. Ich habe es jedenfalls viermal bekommen, versehen mit amüsierten, aufmunternden oder spöttischen Anmerkungen: Es zeigt einen Mann in mittleren Jahren mit kantigem Gesicht, von schräg unten aufgenommen, wie er mit dem Gesundheitsminister telefoniert. Er wirkt von seiner Kleidung und von seinem Telefonstil her wie der Typ Handwerker. Er ist gleich sehr vertraut mit dem Minister und duzt ihn von Anfang an. Oder ist er vielleicht ein fleißiger und besorgter Hausarzt, der in einer Malocher-Stadt seine Praxis betreibt und wenig Zeit für die Kleiderwahl hat?

Das Telefon in seiner rechten Hand sieht unserer Fernseher-Fernbedienung verdächtig ähnlich. Na ja. Also eines dieser selbst gedrehten Videos, das uns in dieser „drögen“ Lockdown-Zeit aufheitern soll? Vermutlich, aber das Schöne an diesem Video ist, dass der Protagonist in eineinhalb Minuten die ganze Misere der Corona-Impfproblematik aufzeigt!

Da haben die Hausärzte trotz hoher bürokratischer Hürden in Nullkommanix die zugeteilten Vakzinen verimpft und brauchen dringend Nachschub. Den sie aber nicht kriegen, weil sie zu schnell waren. Und weil die Impfzentren auch Impfstoff benötigen, aber eben viel zu langsam sind. Die milliardenschweren Verträge, die noch bis Ende des Jahres laufen, müssten nun mal eingehalten werden, sonst gäbe es einen Skandal. Dafür hat der Anrufer Verständnis.

Es gäbe einen Skandal? Ich finde, den gibt es jetzt schon. Indikativ statt Konjunktiv!

Wenn ich daran denke, wie viel Zeit ich schon mit Beratung verbracht habe, weil in der Presse ein Impfstoff als bedenklich und nebenwirkungsreich eingestuft wird, ohne die Hintergründe zu beleuchten. Wenn die Menge der verimpften Dosen in gar keinem Verhältnis zur Häufigkeit der gravierenden Nebenwirkungen steht. Selbst wenn die Zahlen der schweren Nebenwirkungen noch zu niedrig gegriffen sind, weil möglicherweise nicht alle richtig erfasst wurden – die Mortalität im Falle einer Erkrankung ist um ein so Vielfaches höher, sodass die Abwägung wirklich leicht fallen sollte. Und die gesundheitlichen und sozialen Auswirkungen von Post-COVID-Syndromen können wir noch nicht einmal absehen.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin kein Anhänger ungezielter Reihenimpfungen ohne Rücksicht auf Verluste. Selbstverständlich müssen wir eine gute Aufklärung machen und mit den potenziellen Impflingen die gerade individuell für ihn oder sie möglichen Nebenwirkungen besprechen. Aber es sollte doch mit einer zahlen- und größenmäßig richtigen Proportion geschehen. Wie es so schön auf Englisch heißt: “If you don’t like the vaccine, try the disease.“ Und dazu gehört m.E. auch, falsche Vorstellungen zu revidieren und Ängs­te zu reduzieren. Und dazu sind wir Hausärzte am schnellsten in der Lage, denn wir kennen unsere Patienten, haben ihre wesentlichen Krankheiten im Kopf oder in der Akte und können ihre seelische Struktur einschätzen. Das spart viel Zeit. Aber diese gesparte Zeit „dürfen“ Hausärzte dann ja für die bürokratische Dokumentation verwenden.

Und ich denke, da sind wir am Grundproblem dieser Misere angelangt. Das Stichwort heißt Vertrauen.Die Politik hat kein Vertrauen in die niedergelassenen Hausärzte, in deren Impfkompetenz bezüglich Indikationsstellung, Umgang mit den teilweise kompliziert zu handhabenden Impfstoffen und der Einhaltung der vorgegebenen Priorisierung.

Ernsthaft wurde erwogen, den Ärzten, bevor sie loslegen dürfen, noch mal ein Impfseminar aufs Auge zu drücken. Von Politikern wurde uns – feinsinnig formuliert, aber doch unverhohlen – unterstellt, dass wir als Erstes unsere Familien und Freunde, unsere „amigos“, impfen würden, bevor wir unsere Patienten versorgen. (Dass die Familie des Schusters die schlechtesten Schuhe trägt, ist allerdings ein Sprichwort, das oft auch auf Ärztefamilien zutrifft.) Dass jetzt alle Ärzte impfen dürfen außer Betriebs- und Privatärzten, geht wieder in die komplett andere Richtung. Irgendwie vermisse ich den roten Faden. Geht es Ihnen auch so?

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