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Im Sprücheklopfen sind wir Docs schon spitze

Autor: Dr. Frauke Höllering

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Wenn man nicht mehr weiter weiß mit seinem Patienten, kann "diagnosis ex juvantibus" schon mal helfen. Wie Latein sonst noch den "Akademiker im Arzt" unterstricht, weiß MT-Kolumnistin Dr. Frauke Höllering.

Natürlich war wieder Bier der Anlass: „Wie viel ist es denn so?“, fragte ich betont gleichgültig, nachdem mein Patient einen regelmäßigen Genuss zugegeben hatte. „Na ja, so abends zwei bis drei Flaschen“, sagte er. „Null-Fünfer, oder?“, fragte ich rhetorisch zurück, um ihm gar nicht erst die Chance zu geben, mich glauben zu lassen, dass er sich mit niedlichen Drittelliter-Flaschen abgeben würde. Klar.


„Und beim Schützenfest oder am Wochenende könnten es ein paar mehr sein, oder?“ Langsam röteten sich seine Ohren und nahmen, als ich die kleinen Schnaps- und Likörfläschchen ansprach, eine noch dunklere Farbe an: „Na ja, so ein Verteiler muss schon sein, oder?“ Ich versuchte, mit der wissenschaftlichen Erkenntnis zu punkten, dass Alkohol keineswegs der Verdauung diene, und bat, den Bierkonsum deutlich zu reduzieren.

»Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist«

Vom Zweifel im Gesicht meines Gegenübers irritiert, zog ich die Zitaten-Trumpfkarte: „Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist“, dozierte ich salbungsvoll. „Sagt Paracelsus.“ Wie hätte der arme Mann den kennen sollen? „Eigentlich hieß er Philippus Theophrastus Aureolus Bombastus von Hohenheim“, stahl ich uns beiden die Zeit mit geschichtlicher Nachhilfe, um mit der Wucht dieses Klanges endlich zu beeindrucken, „und er war ein hervorragender Arzt im Mittelalter.“


Ich gab ein harmloses Beispiel mit Salz, das in größeren Mengen viel Unheil anrichten kann, und schwang dann zurück zum Bier, das in kleinen Dosen ein nettes Entspannungsmittel und ein köstlicher Durstlöscher ist (schon habe ich mich als Freundin der heimischen Braukunst geoutet ...), aber im Übermaß ins Verderben führt. Nun konnte ich meinen Patienten endlich beeindrucken, aber das würde wahrscheinlich dennoch nicht zu einer Lebensstil-Änderung führen.

»Phrasen sollen uns einen akademischen 
Anstrich verleihen«

Wie oft schon hatte ich versucht, wie in ärztlichen Kreisen üblich, mir mit großartigen Phrasen einen akademischen Anstrich und die Aureole bildungsmäßiger Überlegenheit zu verleihen? Glauben Sie ja nicht, ich schriebe diese Kolumne ut aliquid fiat; mir wären auch andere Themen eingefallen, aber dieses macht mir jetzt am meisten Freude.


Erinnerte ich mich doch just an das kleine Kürzel „nvl“, das mein Kollege für Drückeberger und Gelbe-Schein-Erschleicher eingeführt hatte und das mir klammheimlich verriet: „Non vult laborare.“ Was wären wir ohne die vielen lateinischen Sprüchlein, hinter denen wir uns verschanzen können, während wir darauf warten, extra muros unsere echte Meinung kundzutun? Nicht nur darum war früher ein Medizinstudium ohne den Besitz eines großen Latinums undenkbar.


Aber schon zu meiner Studienzeit konnte man plötzlich an manchen Universitäten auch ohne jegliche lateinische Vorbildung studieren. In Terminologiekursen beschränkte man sich auf Nominativ und Genitiv, weil Weiteres ja nicht nötig sei. Das brachte mir das Vergnügen, ahnungslosen Kollegen die richtige Form der U-Deklination zuzuflüs­tern, wenn sie in Gefahr gerieten, auf dem glatten Parkett der humanistischen Bildung auszurutschen.

»Was wären wir ohne lateinische Verstecke?«

Manch einen habe ich auch gravitätisch nicken sehen, wenn ein Professor in ganzen lateinischen Sätzen sprach, die für manche von unseren Studenten böhmische Dörfer waren – sie wollten sich nun mal nicht als ahnungslos demaskieren. Eigentlich wollte ich gerade „outen“ schreiben, weil es ja ohne Englisch noch weniger geht, aber ich hänge an der deutschen Sprache.


Meine Patientinnen nicht immer: „An apple a day keeps the doctor away!“, erklärte mir neulich fröhlich eine von ihnen ihren guten Allgemeinzustand. „Besser, als sich eine Knoblauchkette um den Hals zu legen, um mich fernzuhalten“, dachte ich verschnupft. Ich freute mich zwar über die kernige Gesundheit der Dame, die ich zufällig beim Einkaufen traf, aber fühlte mich ein wenig wie der „schwarze Mann“, mit dem man Kindern droht und der einen holen kommt, wenn man nicht brav ist.


Was kluge Sprüche angeht, beschränke ich mich in unserem ländlichen Gebiet meistens auf Deutsches. Neulich, „mens sana in corpore sano“ denkend, zitierte ich im Rahmen einer Bitte um Lebensstil-Modifikation Schopenhauer: „Gesundheit ist zwar nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts.“ Da aber schallte es schlagfertig zurück: „Es gibt mehr alte Weintrinker als alte Ärzte!“ Bis ich das widerlegen kann, werde ich meine Phrasendreschmaschine erst einmal einmotten.

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