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In der eigenen Praxis als Auslaufmodell deklariert

Autor: Dr. Frauke Gehring

Potenzielle Patienten könnten mich als eine wahrscheinlich recht erfahrene, aber zweifellos ältere Ärztin wahrnehmen. Potenzielle Patienten könnten mich als eine wahrscheinlich recht erfahrene, aber zweifellos ältere Ärztin wahrnehmen. © Fotolia/zinkevych; MT
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Das Thema in unserer Praxiskolumne: Bisher war das Rentenalter in weiter Ferne, nun rückt es immer näher.

Federnden Schrittes eilte ich an der Praxisrezeption vorbei, auf dem Weg zu einem letzten Patienten und in einen lang ersehnten Skiurlaub. Ich fühlte mich fit und voller Schwung, obgleich es Freitagmittag und der Vormittag ziemlich anstrengend war. Nur mit halbem Ohr hörte ich, wie eine Mitarbeiterin der anderen erzählte: „Und dann sagte sie nee, zu so einem Oppa gehe ich nicht! Dann muss ich mir in ein paar Jahren ja schon wieder einen neuen Arzt suchen!“

Trotz meines verwegen wippenden Pferdeschwänzchens um Jahrzehnte gealtert

Trotz meines verwegen wippenden Pferdeschwänzchens fühlte ich mich plötzlich um Jahrzehnte gealtert. Immerhin war ich auch schon „Omma“ (so nennt man hier seine Großmutter, das norddeutsch vornehme „Oma“ wird nur in unserer Familie verwendet) und nun bis ins Mark getroffen. „Was ist das für eine Geschichte?“, erkundigte ich mich neugierig und mit einem Anflug von Masochismus. Konnte ich doch ahnen, was ich nun hören würde. „Ach, Ihre Kollegin hat heute eine neue Patientin bekommen; man hatte ihr eigentlich einen anderen Arzt empfohlen, aber der war ihr zu alt“, war die Antwort, gefolgt von einem kurzen Stutzen und einem verlegenen „Uups!“. In diesem Moment war der jungen Dame wohl klar geworden, dass der so geschmähte Kollege sogar noch ein paar Jährchen jünger als ich war.

Nun behaupten wir ja alle, dass man nur so alt sei, wie man sich fühle, und die meisten Menschen meines Umfelds, die sich um die 60 bewegen, fühlen sich im Schnitt 10 bis 20 Jahre jünger. Ich selbst behaupte von mir, innerlich die Mittzwanziger nie verlassen zu haben, wenngleich mir äußerlich schon ein paar knallharte Fakten das Gegenteil beweisen. Jetzt aber wurde mir schlagartig klar, wie potenzielle Patienten mich sehen würden: Als eine wahrscheinlich recht erfahrene, aber zweifellos ältere Ärztin, zu der zu wechseln sich aber nicht recht lohne, weil sie spätestens in sechs Jahren ja eh in Rente gehen werde. Vielleicht sogar eher.

„Haben Sie so etwas schon von mir gehört?“, fragte ich meine MfA neugierig, denn nun wollte ich es genau wissen. „Habe ich tatsächlich!“, sagte sie zögerlich. „Es gab schon Leute, die Sie mal vertretend behandelt haben, und die gerne geblieben wären. Aber die sagten dann auch, dass sich ein Arztwechsel für die paar Jahre nicht lohnen würde“. Für die paar Jahre! Bisher war das Rentenalter für mich immer weit weg gewesen und nun erfuhr ich, dass es in der Vorstellung anderer viel zu nahe vor der Tür stand. Nun freue ich mich über alle neuen netten Patient(inn)en unserer Praxis, ob sie bei mir oder bei meiner Kollegin landen, und es gibt neben derem perfektem Alter (deutlich jünger als ich, aber eben durchaus erfahren) noch viele andere gute Gründe, sie als Hausärztin zu wählen. Aber dass ich ein „Auslaufmodell“ war, wurde mir erst in diesem Moment schmerzhaft klar. Da auch ich immer mal wieder neue Patient(inn)en begrüßen darf, hatte ich nie darüber nachgedacht, dass es sich für manche einfach aus Zeitgründen nicht lohnen konnte, sich an mich zu gewöhnen.

Die vereiste Talabfahrt tue ich mir nicht mehr an

Was tun? Heulen und Haselnussschnaps trinken? Gesicht liften, rosa Leggings tragen, sich ein Tattoo stechen lassen? Ich beschloss, nichts davon zu tun, sondern mich darüber zu freuen, dass mir trotz meines vorgerückten Alters noch viele Patient(inn)en die Treue halten oder gar neu schenken. Ich würde mir als Beweis für meine Jugendlichkeit auch nicht erneut die überfüllte und vereiste Talabfahrt in Ischgl zumuten, die ich mir in Anbetracht meiner nicht mehr ganz taufrischen Jugend in den letzten Jahren erspart hatte. Ich musste mir nichts beweisen und würde wieder die Gondel nach unten nehmen. Aber ganz tief in mir hatte ich ein leises Gefühl des Abschieds, der nun auf Raten und auf leisen Sohlen immer näher kommen würde.

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