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Jetzt soll ich auch noch den Pastor ersetzen!

Autor: Dr. Frauke Höllering

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Dr. Frauke Höllering beschreibt, wie Sie überforderte Seelsorger auffängt und warum sie Lust hat, mit Theologen zu diskutieren.

Ach, das ist aber auch schrecklich!“ Erschüttert rührte der Pastor in seiner Kaffeetasse. Er war zu einer Krankensalbung bestellt worden, um dann festzustellen, dass es hierfür ein wenig spät war. Der alte Herr war in der Zwischenzeit friedlich verstorben.


Von der recht gefassten Witwe informiert, war ich zur Ausstellung des Totenscheines vor Ort. Nach erfolgter Untersuchung nahm ich die Einladung zum frisch aufgebrühten Kaffee gerne an und setzte mich zu dem Seelsorger an den Küchentisch. Allerdings wartete ich vergeblich darauf, dass für die Seelen gesorgt wurde. Während die alte Dame allerlei für das Bestattungsinstitut zurechtlegte, murmelte mein Gegenüber nur, wie furchtbar ja alles sei.

"Ein schmerzloser Tod im hohen Alter ist nicht schrecklich"

Dann platzte mir der Kragen: „Ich finde das alles gar nicht so schrecklich!“, begehrte ich auf. „Der alte Herr hat ein gesegnetes Alter erreicht und ist nach kurzer Krankheit zu Hause, ohne Schmerzen und friedlich eingeschlafen. Wünschen wir uns das nicht alle?“ Am liebsten hätte ich noch hinzugefügt: „Was ist eigentlich mit dem lieben Gott, für den Sie hier sprechen sollten? Der verstorbene nette alte Mann ist sicher längst dort eingetroffen und fühlt sich pudelwohl. Was, bitte, soll daran furchtbar sein?“


Aber in Anerkennung der trauernden Witwe verkniff ich mir den Einstieg in einen theologischen Disput. Der Pastor allerdings antwortete auch auf die von mir gestellte Frage nicht, sondern stand auf und verabschiedete sich. „Schrecklich. Ganz schrecklich!“, hörte ich ihn auch im Herausgehen noch murmeln.


Auch ich wäre gern gegangen, wartete der Mann meines Herzens doch mit dem Abendessen auf mich. Aber so wollte ich die Witwe doch nicht allein lassen. Vorsichtig fragte ich sie, ob sie an ein Wiedersehen nach dem Tod glaube. Ihr Gesicht hellte sich auf, als sie davon sprach, denn sie war ganz sicher, von ihrem Mann nur vorübergehend getrennt zu sein. Jetzt konnte sie auch für ihn dankbar sein, dass er nicht noch ins Krankenhaus gekommen war, nicht leiden musste und seine letzten Stunden mit ihr geteilt hatte. Als ich ging, wirkte sie getröstet, und auch mir war deutlich leichter ums Herz.


Es ist nichts Neues, dass viele Menschen ihren Glauben verloren haben und ihr Heil in irdischen Dingen, fremden Religionen oder esoterischen Umtrieben suchen. Dass es aber auch Kirchenmänner und -frauen gibt, die gar nicht mehr das ausstrahlen, was ich von ihnen erwarte (Trost, Gelassenheit, Menschenliebe, Zuversicht) ist mir gerade in Krisensituationen häufiger aufgefallen.

"Gespräche über den Tod erleichtern auch den Arzt"

Wenn die „Sorge Dich nicht, lebe!“-Banalitäten versagen und absurde Bestseller wie „The Secret“ („Du kriegst alles vom Universum, was Du Dir wünschst“, wird darin versprochen) nicht mehr weiterhelfen, muss ich plötzlich in die Seelsorger-Rolle schlüpfen. Manchmal möchte ich mich drücken, das gebe ich zu. Aber die Gespräche, die sich dann rund um schwere Erkrankungen und Tod entwickeln, bekommen eine Tiefe, die auch mir gut tut.


So hatte ein Freund von mir ein Nah-Tod-Erlebnis, während er todkrank auf der Intensivstation lag. „Plötzlich fror ich nicht mehr, alles war licht und leicht“, berichtete er später, sichtlich bewegt. „Ich fühlte mich in den Arm genommen, jemand nannte mich beim Namen und versprach mir, mich niemals alleine zu lassen. Aber dann, mit einem Schlag, lag ich wieder frierend und voller Schmerzen in meinem Krankenhausbett.“ Für diesen Freund hat sich die Welt seitdem gewandelt. Er ist sicher, dass Sterben nicht qualvoll sein muss und dass es nur ein Weg in eine schöne, warme neue Welt voller Liebe ist.


Diese Geschichte erzähle ich hin und wieder und habe den Verdacht, dass sie den Kranken und ihren Angehörigen mehr Trost gibt, als so manche Sonntagspredigt. Aber sicherer fühle ich mich in der Medizin. Hier weiß ich vieles mit Sicherheit, während dort das Meiste mystisch und verschleiert bleibt. Bis heute warte ich vergebens auf charismatische Pastoren und Pastorinnen, die mir die Seelsorge abnehmen und vielleicht sogar Lust auf Diskussionen zwischen Theologie und Medizin haben. Wo sind sie geblieben?

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