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Jung, weiblich, stressempfindlich

Aus der Redaktion Autor: Kathrin Strobel

© MT
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Es ist gut und richtig, dass Ärzte bei der Behandlung das allgemeine Wohlbefinden abfragen. Aber wie kommt es, dass gerade bei jungen Frauen stets ein psychosomatisches Leiden vermutet wird? Ein Kommentar.

Das Körnerkissen an meinem Rücken wird langsam kalt, die Wirkung der letzten Ibuprofen lässt allmählich nach. Vor einigen Tagen begannen meine Beschwerden mit erhöhter Temperatur und vermehrtem Harndrang. Inzwischen leide ich auch an Übelkeit und Flankenschmerzen, sodass Abwarten und Teetrinken nicht mehr reichen. Ich gebe auf und wähle die Nummer der Hausarztpraxis.

„Haben Sie momentan viel Stress?“, fragt mich der Arzt, als ich am nächsten Morgen vor ihm sitze. Meine Symptome habe ich ihm bereits geschildert – eigentlich sollte uns beiden klar sein, dass wir es mit einem aufgestiegenen Harnwegsinfekt zu tun haben. Und dennoch kommt sie, die leidige Frage nach meiner psychischen Verfassung. Ich kenne das bereits: Seit einigen Jahren hat es kaum mehr einen Arztbesuch gegeben, bei dem die Möglichkeit einer psychischen Ursache nicht zumindest in den Raum gestellt wurde. Ich bin Anfang 30 und weiblich – das reicht scheinbar, um das Label „psychogen“ schon vor der Anamnese aus der Schublade zu holen und für den Fall der Fälle bereitzuhalten.

Wie immer antworte ich wahrheitsgemäß: Beruflich und privat alles gut, zwischen den Jahren war vielleicht ein bisschen viel los. Während ich rede, zieht es wieder in der Flanke. Ich stütze mich auf den Armlehnen des Stuhls ab, das sorgt für etwas Linderung. Der Arzt hakt noch mal nach ...

Etwa eine Stunde später verlasse ich die Praxis mit einer AU für die kommenden Tage und einem Antibiotikarezept. Diagnose: Pyelonephritis. Bakteriell, nicht psychogen.

Dass im Arzt-Patienten-Gespräch das allgemeine Wohlbefinden abgefragt wird, finde ich gut und richtig. Dass eine eventuelle seelische Belastung thematisiert wird, ebenso – vor allem dann, wenn sich keine organische Ursache für die Beschwerden finden lässt. Dass ich allein aufgrund meines Geschlechts und meines Alters in den meisten Praxen von Anfang an den „Psycho-Stempel“ zu tragen scheine, nervt mich allerdings kolossal. 

Aus Interesse habe ich mich in meinem Bekanntenkreis umgehört. Diese kleine nicht-repräsentative Umfrage ergab: Fast alle Frauen haben Ähnliches erlebt. Die Männer hingegen zeigten sich verwundert. Nach ihrer seelischen Verfassung hat sich bislang kein Arzt erkundigt.

Kathrin Strobel
Redakteurin Medizin

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