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Kein Tag ohne Arznei-Versorgungsnotstand

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Kritiker meinen: Beschlossene Meldepflichten für Lieferengpässe sind noch nicht ausreichend! Kritiker meinen: Beschlossene Meldepflichten für Lieferengpässe sind noch nicht ausreichend! © thinkstock
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Da die beim "Pharmadialog" zwischen Regierung und Industrie abgesprochene Selbstverpflichtung zur Meldung von Engpässen real unwirksam blieb, hat der Gesetzgeber nun eine Meldepflicht für Lieferausfälle in § 52b Arzneimittelgesetz verankert. Viele Akteuren ist das noch zu wenig.

Grund für den Unmut bei Ärzten, Kliniken und Krankenkassen ist, dass der Gesetzgeber die pharmazeutischen Unternehmer lediglich zur Meldung bekannt gewordener Lieferengpässe an die Krankenhausapotheken verpflichtet hat. In einer Pressekonferenz der AOK Baden-Württemberg äußerte der Vorstandsvorsitzende Dr. Christopher Hermann, dies sei nur "ein erster Schritt, weitere müssen folgen".

Große Intransparenz über die tatsächliche Versorgungslage

Dr. Hermann verwies auf eine Forsa-Umfrage im Auftrag der AOK von Anfang dieses Jahres. Hier hatten acht von zehn Befragten für das Jahr 2016 angegeben, dass mindestens ein verschreibungspflichtiges Medikament nicht vorrätig gewesen war. Zwar konnte das Medikament in den meisten Fällen zeitnah beschafft werden, vier von zehn Befragten wurde jedoch ein baugleiches Ersatzmedikament angeboten, weil das verschreibungspflichtige nicht verfügbar war. In jedem zehnten Fall gab es auch keinen Ersatz und der Arzt musste ein neues Rezept für ein Alternativ­arzneimittel ausstellen. Die GKV-Abrechnungsdaten zeigen dagegen ein anderes Bild, wie Dr. Hermann deutlich machte. Die AOK-Daten belegen nur für 0,6 % der Fälle ein Lieferversagen. "Wir brauchen eine Transparenzoffensive", forderte deshalb der AOK-Chef. Pharmazeutische Unternehmer, Krankenhausapotheken, Apotheken vor Ort und auch die Großhändler müssten hierzu Daten liefern. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hält Dr. Hermann für das geeignete "Trustcenter". Es gebe keine Klarheit über die tatsäch­liche Versorgungssitua­tion, weil das Prinzip der Direktmeldungen durch die Pharmaindustrie versagt hat, so seine Kritik.

Hersteller sollten einen Mindestvorrat vorhalten

Unzufrieden wegen eines Versorgungsnotstands ist auch Rudolf Bernhard, Präsident des Bundesverbandes Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA). Es gebe z.B. am Universitätsklinikum Heidelberg keinen Tag, an dem nicht in der Krankenhausapotheke bis zu zwei Apotheker mit der Beschaffung von Alternativpräparaten beschäftigt seien. "Wir fordern, dass Hersteller einen überprüfbaren Mindestvorrat an Arzneimitteln vorhalten", erklärte der Pharmazeut. 

"Stumpfes Schwert"

Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie mahnt seit Jahren politische Maßnahmen gegen Arzneimittelengpässe an. Die neue Gesetzesregelung bezeichnet auch die Fachgesellschaft als "stumpfes Schwert", weil Sanktionen fehlen. In ihrer Schriftenreihe hat die DGHO Arzneimittelengpässe in der Onkologie und anderen Fachgebieten thematisiert.
Eine Umfrage der ADKA in Krankenhausapotheken ergab, dass aktuell Arzneimittel mit 280 verschiedenen Wirkstoffen nicht verfügbar sind. Darunter befinden sich 30 versorgungskritische Arzneien, die überwiegend zur Behandlung lebensbedrohlicher oder schwerwiegender Erkrankungen bestimmt sind und für die keine Alternativpräparate verfügbar sind.

Von diesen 30 Arzneimitteln hätten die verantwortlichen Hersteller lediglich acht ans BfArM gemeldet. Ein Nichtmelden habe keinerlei Konsequenzen, so der ADKA-Präsident. Er drängt weiterhin auf eine Pflicht für Hersteller, nicht nur Lieferengpässe ans BfArM zu melden, sondern auch über drohende Ausfälle zu berichten und dabei Alternativpräparate zu benennen.

Patienten sind mittelbar und unmittelbar betroffen

Der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der Ärzteschaft, Professor Dr. Wolf-Dieter Ludwig, sprach sich ebenfalls für eine umfassende Meldepflicht beim BfArM bzw. für Impfstoffe beim Paul-Ehrlich-Institut aus – und zwar mit klar definierten Sanktionsmöglichkeiten. Notwendig sei auch die Berücksichtigung der von den Fachgesellschaften erstellten Liste unverzichtbarer Arzneimittel, die vom BfArM vorbereitet wird.

Professor Dr. Karl Lauterbach, stellv. Vorsitzender der SPD-Frak­tion im Bundestag bezeichnete die Lieferengpässe als ein "wachsendes Problem". Die Patienten seien dadurch sowohl mittelbar, u.a. durch sich entwickelnde Antibiotikaresis­tenzen, als auch direkt durch verschobene Behandlungen betroffen. Er zeigte sich deshalb zufrieden über den Beschluss zur Meldepflicht an die Krankenhausapotheken. Der Politiker schließt jedoch weitere Schritte des Gesetzgebers nicht aus.

Quelle: Medical-Tribune-Bericht 

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