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Keine Gesetze, die uns neuer Willkür aussetzen!

Autor: Dr. Günter Gerhardt

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MT-Kolumnist Dr. Günter Gerhardt bezieht Stellung zur Korruptionsdebatte und appeliert an seine Kollegen: "Wir müssen uns wehren."

Die Kassen fordern … Kaum hatte das neue Jahr begonnen, tauchte dieser Satz fast täglich in den Medien auf. „… strengere Gesetze gegen Korruption unter Ärzten … verstärk­te Bemühungen gegen die ungleiche Verteilung der Mediziner (mehr Mediziner aufs Land!) … schärfere Bestrafung von Ärzten, die gegen Richtlinien bei der Vergabe von Spenderorganen verstoßen haben.“


Der kundige Medienexperte fragte sich: „Na, was wird denn da wieder vorbereitet?“ Und richtig, am 17. Januar folgte die Meldung: Die gesetzlichen Krankenkassen haben 2010 und 2011 knapp 53 000 Fälle von Fehlverhalten im Gesundheitswesen verfolgt. 2600-mal wurde die Staatsanwaltschaft eingeschaltet.


Doch welche Reaktion darauf kommt von uns? Ein Schulterzucken und vielleicht eine verbale Attacke zu Hause im Wohnzimmer. Dass wir damit zu einer kalkulierbaren, fügsamen Masse werden, die von Kassen und Politik teilweise vor sich hergetrieben wird, muss uns klar sein. Immerhin hat der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten, Wolfram-Armin Candidus, deutlich reagiert und gefordert, „dass diese Zahl in Relation zu der Gesamtbehandlungsziffer von hochgerechnet drei Milliarden Kontakten zu setzen ist und vielmehr die Zahl der Leistungsablehnungen durch die GKV näher zu beleuchten ist“.


Bundesärztekammerpräsident Professor Dr. Frank Ulrich Montgomery hat zum Glück mehrfach davor gewarnt, „schlagzeilenträchtig schärfere Gesetze gegen korrupte Ärzte“ zu fordern. Ist uns allen eigentlich bewusst, was sich aus solchen populistischen Forderungen entwickeln kann?


Im Fall der Skandale bei der Vergabe von Spenderorganen erließ das Amtsgericht Braunschweig am 11.1.13 Haftbefehl gegen den früheren leitenden Transplantationsarzt. Ihm wird jetzt Körperverletzung mit Todesfolge, versuchter Totschlag sowie schwere Körperverletzung vorgeworfen. Wie das? Wenn die Vergabe von Spenderorganen rechtlich nicht sauber gelaufen ist, dann, so meine Vermutung, bekamen bedürftigere Patienten kein Organ, sind schlimmstenfalls gestorben und in der Folge kam es zu der Anklage.

 »Ich weiß, zu was wild gewordene Staatsanwälte fähig sind«

Keine Frage: Unsere Kammern müssen sich des Problems annehmen, um Verstöße wirkungsvoll sanktionieren zu können. Auch gegen die Einführung eines Mehr-Augen-Prinzips (Ärzte, Krankenkassen, Kliniken und Gesundheitsministerien der Länder) ist nichts einzuwenden. Aber bitte keine neuen Gesetze, die uns nur wieder der Willkür der Justiz aussetzen!


Diese Willkür trieb ihre Blüten in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen in den 1980er und den ersten Jahren des neuen Jahrtausends: staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren gegen niedergelassene Ärzte. Da hatte sich plötzlich etwas verselbstständigt, was nicht mehr aufzuhalten war: Hunderte Ermittlungsverfahren, die sich bis zur Einstellung über Jahre hinzogen.


Sogenannte Sokos überrollten das Land. Aus den Verhören von Ärzten und Arzthelferinnen ergaben sich neue Verfahren. Kollegen zeigten sich gegenseitig an und trafen sich dann in der Zelle der U-Haft. Ein Arztehepaar hängte abends nach der Durchsuchung von Praxis- und Privaträumen (Polizisten hatten die Straße abgesperrt und mit umgehängter MP die Praxis gestürmt) das Schild „Praxis wegen Trauerfall geschlossen“ raus – und brachte sich um.

»Die entscheidende Frage ist: Wo fängt Korruption an?«

Nach jahrelanger Ärztehatz hatte die Politik dann ein Einsehen und setzte dem Treiben ein Ende. Anschließend wurden diese Abrechnungsbetrugs- bzw. Verdachtsfälle mit der Plausibilitätsprüfung (§ 106a SGB V) überprüft. Glauben Sie mir: So etwas könnte sich auch aus dem Komplex „Korrupte Mediziner – wir brauchen ein neues Gesetz“ entwickeln. Ich will schwarze Schafe nicht schützen. Diese können wir mit eigenen Mitteln entdecken, sanktionieren und bei Bedarf an den Staatsanwalt weitergeben. Aber ich weiß, zu was wild gewordene Staatsanwälte fähig sind.


Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns positionieren, uns wehren! Jeder von Ihnen dort, wo er kann. Suchen Sie im Bundestagswahljahr 2013 das Gespräch mit den ortsansässigen Medien und Politikern. Informieren Sie Ihre Patienten im Wartezimmer und glauben Sie nicht, „das betrifft mich nicht“. Diesen Denkfehler haben schon viele Kolleginnen und Kollegen gemacht und waren entsetzt, als dann Polizei und Staatsanwalt in der Praxis oder Klinik standen. Gerade beim Thema Bestechlichkeit wird nämlich die entscheidende Frage lauten: „Wo fängt Korruption an?“ Eine enge Auslegung wäre eine große Spielwiese für die Justiz.

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