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Krankenkassen im Wettbewerb: 5 % Leistungsunterschiede

Gesundheitspolitik Autor: Ruth Bahners

Der Wettbewerb zwischen den Krankenkassen zielt vor allem auf die Einnahmen.
Der Wettbewerb zwischen den Krankenkassen zielt vor allem auf die Einnahmen. © Fotolia/momius
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25 Jahre nach Einführung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung ist von der ersten Euphorie nicht viel geblieben. Jedenfalls wenn man der Analyse des Bundesversicherungsamtes folgt.

Es war Horst Seehofer, der als Bundesgesundheitsminister mit dem Gesundheitsstrukturgesetz 1993 nicht nur die Budgets für Honorar und Arzneimittel einführte. Mit der freien Wahl der Krankenkassen und der Einrichtung des Risikostrukturausgleichs wurde auch der Wettbewerb der Krankenkassen als Allheilmittel zur Kostensenkung und Effektivitätssteigerung eröffnet.

Anlässlich des 25-Jahre-Jubiläums sieht der Präsident des Bundesversicherungsamtes, Frank Plate, Licht und Schatten. Positiv sei, dass „verkrustete Verwaltungsstrukturen aufgebrochen worden seien“. Auch habe sich die Versorgung der Versicherten verbessert und Wirtschaftlichkeitsreserven seien gehoben worden. „Aber wenn sich Krankenkassen nur noch als Unternehmen begreifen und ihre Marktbehauptung in den Vordergrund ihrer Bemühungen stellen, haben sie ihren Auftrag in der Solidargemeinschaft der gesetzlichen Krankenversicherung vergessen.“

Erstattung von Osteo­pathie, Homöopathie und IGeL

In seinem mehr als 160 Seiten starken Sonderbericht nimmt das BVA auch Angebote wie Satzungsleis­tungen und Selektivverträge unter die Lupe. Der Anteil der Leistungen, die die Kassen in Abweichung vom gesetzlichen Katalog anbieten, ist nach Angaben des BVA mit 5 % relativ gering. Doch in diesem schmalen Feld ist Musik drin. Denn hier wird Kundenakquise betrieben und der Kampf um einen möglichst großen Anteil am Risikostrukturausgleich ausgefochten.

Ein Instrument des Wettbewerbs sind die Satzungsleistungen. Dafür gaben Kassen im Jahr 2016 rund 341 Mio. Euro aus. 60 Kassen bieten beispielsweise die Erstattung der Osteo­pathie an. Auch Kosten für die Homöopathie werden erstattet, ebenso die von IGeL. Dabei bieten Kassen laut BVA die gleichen Leistungen wie den Ultraschall der Eierstöcke oder den PSA-Test der Prostata an, die der Medizinische Dienst jüngst als unnütze, ja sogar als schädliche IGeL-Angebote von Ärzten bewertet hat.

Kassenschwund

Anfang der 1990er Jahre gab es in Deutschland über 1000 Krankenkassen, 2017 waren es noch 112. Die zehn größten Krankenkassen versorgen zusammen 68 % aller Versicherten. Während die Beitragssätze der Krankenkassen im Jahr 2008 vor Start des Gesundheitsfonds um bis zu 5,2 Prozentpunkte auseinanderlagen, bestanden 2017 nur noch 1,4 Prozentpunkte an Beitragssatzunterschieden.

Diese Leistungen dienen vor allem dem Wettbewerb um neue Kunden, so die Aufsichtsbehörde. Sie sieht dabei das Risiko, „dass Wirksamkeit, Qualitätssicherung und Wirtschaftlichkeit der Leistungen in der Regel eher eine untergeordnete Rolle spielen“. Das Amt habe derzeit aber keine rechtlichen Möglichkeiten, eine Kos­tenübernahme selbst unwirksamer Leistungen zu unterbinden. Auch bei den Selektivverträgen ist nach Auffassung des BVA nicht alles Gold, was glänzt. Am wichtigsten sind hier die Verträge zur Hausarztzentrierten Versorgung (HzV). Im Jahr 2019 will der Deutsche Haus­ärzteverband 1,5 Mrd. Euro HzV-Honorare abrechnen. Der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, auf diese Weise ließen sich Innovationen beschleunigen und Effizienzreserven erschließen. „Aus aufsichtsrechtlicher Sicht ist jedoch grundsätzlich nicht erkennbar, dass dieser Vertragstyp von den bundesunmittelbaren Krankenkassen in diesem Sinne als Wettbewerbs­instrument eingesetzt würde“, heißt es im BVA-Bericht.

Aufsicht ist von der HzV noch nicht restlos überzeugt

Vielmehr hätten die Kassen die HzV-Verträge auch genutzt, um Einfluss auf ihre Zuweisungen aus dem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich zu nehmen und sich so einen Einnahmenvorteil zu verschaffen. Dem BVA ist vor allem die Chronikerpauschale ein Dorn im Auge, sofern die Krankenkassen diese auch dann vergüten, wenn es im Quartal zu keinem Arzt-Patienten-Kontakt kommt und auch sonst keine ärztliche Leistung der Zahlung gegen­übersteht. Das sei „rechtswidrig“.  Dieser Einschätzung widerspricht der Hausärzteverband vehement. Der Anteil chronisch kranker Patienten liege in der HzV zwischen 50 und 60 %, so Bundesvorsitzender Ulrich Weigeldt. In der Gesamtheit aller gesetzlich Versicherten betrage er nur circa 20 %. „Kein Wunder, dass in der HzV mehr RSA-relevante Diagnosen als im KV-System kodiert werden.“ Weigeldt wehrt sich gegen eine Diskreditierung der HzV, indem ein Zusammenhang mit den sog. Betreuungsstrukturverträgen hergestellt wird, die Geld gegen Kodierung zum Gegenstand hätten. „Wir versorgen unsere Patienten gut und wirtschaftlich! Bei der Versorgung von chronisch kranken Menschen ist Geiz überhaupt nicht geil!“ Das Bundesversicherungsamt moniert wiederum: Nur eine einzige Studie lege sowohl Versorgungsverbesserungen als auch den Nachweis von Effizienzsteigerungen in der HzVnahe. Wünschenswert wäre es, „wenn die Verträge unabhängig wissenschaftlich evaluiert würden“. Ansonsten liege es allein in der Hand der Vertragspartner, wie die Wirtschaftlichkeit nachgewiesen werde. Die selektivvertraglichen Gestal­tungsmöglichkeiten der Kassen erforderten weiterhin ein genaues Beobachten durch die Auf­sichtsbehörden, meint das BVA. Die 2015 abgeschaffte Vorlagepflicht für diese Verträge sollte wieder eingeführt werden.
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