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Krankenkassen: Rücklagen gut aufheben und nicht verpulvern

Gesundheitspolitik Autor: Michael Reischmann

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Mit ihren Geldpolstern wollen die Krankenkassen die Zeit bis zur nächsten Strukturreform im Gesundheitswesen überbrücken. Nur keinen "kurzatmigen Aktionismus", mahnt die AOK.

Noch nie zuvor hatte die GKV eine Rücklage von fast 22 Milliarden Euro. Doch diese „darf nicht durch kurzatmigen Aktionismus verbrannt werden“, sagt Jürgen Graalmann vom AOK-Bundesverband. Das Geld soll gespart werden, denn schon ab 2013 könnten die GKV-Ausgaben die -Einnahmen übertreffen. Zusätzliche Ausgaben für Ärzte, Apotheker und Kliniken in Milliardenhöhe, Wahlgeschenke wie eine erlassene Praxisgebühr oder schnell verpuffte Beitragsrückerstattungen – all das wäre jetzt grundverkehrt, erklärt Graalmann.

Denn es gibt eine unbemerkte Bedrohung: die „strukturelle Finanzierungslücke“. Für die Jahre bis 2015 beziffert der Vorstandsvorsitzende des AOK-Verbandes diese Differenz zwischen beitragspflichtigen Einnahmen und GKV-Leistungsausgaben auf durchschnittlich 5 Mrd. Euro pro Jahr.

Differenz zwischen beitragspflichtigen Einnahmen und GKV-Leistungsausgaben

Auch in den vergangenen Jahren habe es solche Lücken gegeben. Sie seien aber stets durch politische Feuerwehrmaßnahmen wie höhere Steuerzuschüsse und Kostendämpfung geschlossen worden. Doch für die nähere Zukunft sieht der AOK-Verband diese Möglichkeiten nicht. Denn mit Strukturreformen, ähnlich dem AMNOG, sei erst ab 2014 unter der nächsten Bundesregierung zu rechnen. Bis diese Maßnahmen dann greifen, vergehen noch zwei bis drei Jahre.

Höhere Beitragssätze oder Steuerzuschüsse sind keine Alternativen

Dass mit Beitragssatzerhöhungen oder weiteren Steuerzuschüssen GKV-Einnahmen und -Ausgaben ausgeglichen werden, glaubt Graalmann nicht. Er verweist darauf, dass ab 2014 gemäß EU-Fiskalpakt eine Neuverschuldungsobergrenze von 0,5 % des Bruttoinlandsprodukts einzuhalten ist, das entspricht 13 Mrd. Euro. Und hierbei zählen nicht nur neue Schulden von Bund und Ländern, sondern auch die Löcher bei Kommunen und Sozialversicherungsträgern mit. In Leistungsausgrenzungen und höheren Zuzahlungen sieht Graalmann auch keine Lösung – angesichts der „Ineffizienzen“ im System.

Also sollen sich die Ausgaben an den Einnahmen orientieren. Das heiße nicht, dass es weniger Geld für die Leistungserbringer gebe, es gebe nur „weniger mehr“. Im Klartext: Zu den derzeit insgesamt ca. 180 Mrd. Euro GKV-Ausgaben kommen jährlich noch 3 Mrd. hinzu – „für evidenzbasierte Leistungen und mehr Qualität“, so Graalmann. Die 3 Mrd. Euro entsprechen einem jährlichen Beitragseinnahmenplus von 1,5 %. In den Jahren 2004 bis 2011 seien jedoch die GKV-Ausgaben jährlich um 3,6 % gestiegen, was 7 Mrd. Euro entspreche. 7 minus 3 – das ergibt die „strukturelle Lücke“.

Die Demografie ist nicht der Kostentreiber

Nach Angaben des AOK-Bundesverbandes entfallen von den 3,6 % Ausgabenzuwachs 0,4 Prozentpunkte auf die demografische Entwicklung. Die alternde Gesellschaft ist damit für die GKV weit weniger gravierend als lange vermutet. Etwa 1,2 Prozentpunkte werden dem medizinisch-technischen Fortschritt zugeschrieben. Und die restlichen 2 Prozentpunkte erklärt Graalmann einfach zu „Ineffizienzen“, also Über- und Fehlversorgung.

Zu den gesetzgeberischen Maßnahmen, die sich die AOK wünscht, gehört eine Nutzenbewertung von Medizinprodukten à la AMNOG. Auch für den Wettbewerb mit der PKV in einem einheitlichen Versicherungsmarkt – mit einheitlichem Vergütungssystem (im stationären Sektor sind das heute schon die DRGs) – fühlt man sich grundsätzlich gewappnet.

Die Krankenkassen können übrigens weitere Mrd. sammeln, ohne Beträge ausschütten zu müssen. Es gebe keine Obergrenze, so Graalmann. Der Gesetzgeber sehe Soll-Rücklagen von 1,5 Monatsbeiträgen vor, das entspreche 23 Mrd. Euro. Heute haben die Kassen zusammen 13 Mrd. Euro auf der hohen Kante, was den Leistungsausgaben von drei bis vier Wochen entspricht. Weitere 9 Mrd. Euro Rücklagen stecken im Gesundheitsfonds – „im Zugriff der Politik“. Graalmann betont, dass die Kassen die Gelder sicher und rentabel anlegen. Die AOK erziele Renditen oberhalb der Inflationsrate. 

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