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Krise, Panne, Schande

Aus der Redaktion Autor: Michael Reischmann

© MT
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Die Coronakrise wirkt wie eine Lupe. Sie lenkt den Blick auf politisches Agieren. Ein Kommentar.

Schlecht formulierte Gesetze und Verordnungen, fehlende Manpower für effektive Realisierung und Kontrollen, Verschwendung von Steuergeld, Lobbypolitik, Vetternwirtschaft, große Versprechen und Enttäuschungen – all das gab es auch schon vor der Pandemie. Aber nicht so geballt auffällig, meine ich. Politische Vorgänge und Entscheidungen sind häufig komplex und detailreich, finden eher selten auf großer Bühne statt, schleppen sich scheinbar endlos dahin. In puncto Pandemie ist das aber anders.

Experten wie Laien gucken derzeit genauer hin, was Volksvertreter, öffentliche Verwaltung und Beauftragte fabrizieren. Weisungen müssen schnell erteilt, kommuniziert und exekutiert werden. Sie geraten nicht sofort wieder in Vergessenheit. Auch die Folgen sind rasch zu erkennen. Die Medien laufen heiß, die Gerichte werden bemüht. In der Krise hat die Politik zum Handeln zurückgefunden, zumal Geld keine bremsende Rolle mehr spielt. Doch sie ist auch transparent geworden – was sich in lauten Schuldzuweisungen und berechtigter Kritik bemerkbar macht.

Jens Spahn ist als Bundesgesundheitsminister derzeit neben dem Finanzminister ein zentraler Entscheidungsträger. Bei Pech und Pannen verweist er allerdings gerne an andere: die Bundesländer, die EU, unzuverlässige Anbieter, die Kriminellen und natürlich das Virus selbst. Die Anekdoten, die Angehörige, Freunde und Kolleginnen von sog. Testzentren erzählen, lassen einen jedoch erneut den Kopf schütteln. Hier wurde die Freiheit, mit AHA shoppen und essen zu gehen, bürokratiearm im Zelt verteidigt, Schnelligkeit ging vor Sorgfalt. Wer sich an der Pandemie bereichert, sollte sich schämen, fiel Spahn dazu ein. Und sich ein wenig vor wachsamen Nachbarn, Journalisten, Staatsanwälten und Finanzbeamten fürchten, mag man ergänzen.

Ein Risiko ist, dass die kollektive Anstrengung und Aufmerksamkeit, die das Virus mit seinen gesellschaftlichen Ausstrahlungen auf sich zieht, an anderen Stellen fehlt. Was sich noch unangenehm bemerkbar machen kann. Derzeit liefern Wissenschaftsleugner, Impfdrängler, Pöbler, Impfpassfälscher, legale strafffreie und illegale Krisengewinnler die Anlässe zum Aufregen und Hinterfragen politischer Weisheit und menschlichen Handelns. Der Blick durch die Lupe schränkt aber leider auch die Aussicht ein.

Michael Reischmann
Ressortleiter Gesundheitspolitik

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