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KV Nordrhein: Diagnosen, die ein Extrahonorar wert sind

Gesundheitspolitik Autor: Michael Reischmann

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Ein Betreuungsstrukturvertrag für Hausärzte in Nordrhein fügt sich in eine Reihe ähnlicher AOK-Verträge mit anderen KVen ein. Kurz vor dem Vertragsstart wurden schon Nachbesserungen gefordert.

Zum 1. Juli löst der Strukturvertrag für Hausärzte und Pädiater zwischen der AOK Rheinland/Hamburg und der KV Nordrhein deren HzV-Vertrag ab. Die AOK wollte diesen nicht mehr fortführen, so die KV.

"Der neue Vertrag soll dem hohen Betreuungsaufwand der Hausärzte für multimorbide Patienten Rechnung tragen – die Identifikation der Patienten erfolgt über die kodierten Diagnosen", erklärt AOK-Vorstand Matthias Mohrmann.

Hausarzt: Neuer Vertrag ist  finanziell weniger attraktiv

Im Fokus stehen laut KV alle 2,4 Millionen in Nord­rhein wohnenden AOK-Patienten, "auf die eine oder mehrere der im Vertrag niedergelegten Diagnosen zutreffen"; im Hausarztvertrag sind 460 000 Patienten eingeschrieben.

Der Vorsitzende des nordrheinischen Haus­ärzteverbandes, Dr. Dirk Mecking, wundert sich über das Abkommen. Der Vertrag nach § 73a SGB V sei für die Ärzte wirtschaftlich uninteressanter als der bisherige und auch weniger attraktiv als der geschiedste HzV-Vertrag zwischen AOK und Haus­ärzteverband.

Und von wegen "bürokratiearm" – die Patienten müssten neu eingeschrieben werden, so Dr. Mecking.

Ausschlüsse bei HzV- und DMP-Behandlungen

Die KV zahlt ein zusätzliches Honorar von bis zu 7,50 Euro je Fall aus, den der Arzt mit einer Symbolnummer in der Abrechnung kenntlich macht.

Eine Vertragsanlage listet seitenweise ICD-10-Codes und Pauschalen auf. Beim Gros sind es 2,20 Euro für eine endstellig kodierte, gesicherte Diagnose. Weitere Pauschalen betragen 3 und 4,50 Euro.

Kein Extrahonorar gibt es, wenn der Arzt im selben Behandlungsfall Leistungen nach der HzV oder einem DMP mit gleicher Indikation abrechnet.

Schnittstelle der gevko GmbH nur im Einvernehmen mit Ärzten

Die Verwendung der einst vom Deutschen Hausärzteverband als "Kassen-Trojaner" bezeichneten S3C-Schnittstelle der gevko GmbH, eine IT-Tochter der AOKen, verneint Mohrmann für den Vertragsstart. "Ein späterer Einsatz ist jedoch nicht ausgeschlossen, dies aber nur im Einvernehmen mit der Ärzteschaft."

Ein ähnlicher 73a-Strukturvertrag in Brandenburg, den die AOK Nordost und die KV schon seit 2012 praktizieren, wird von einigen Praxisverwaltungsprogrammen mit der S3C-Schnittstelle unterstützt.

Übrigens zahlt die AOK Nordost in Brandenburg und Berlin je nach Anzahl der gesicherten, endstellig kodierten Diagnosen aus dem Katalog 4, 6 und 8 bzw. bis zu 12 Euro pro Fall an die Haus- und Fachärzte.

Auch der in Hessen zum 1. April 2014 von AOK und KV gestartete Betreuungsstrukturvertrag sieht die Pauschalen von 4, 6 oder 8 Euro für Haus- und Fachärzte sowie Psychotherapeuten vor.

Bundesversicherungsamt prüft Vertragsklauseln

Noch prüft das Bundesversicherungsamt den Vertrag – genauso wie eine ähnliche Vereinbarung von KV und AOK in Bayern, über die sich Krankenkassen bei der Behörde beschwert hatten.


Laut dem Amt, das über den Risikostrukturausgleich und den Gesundheitsfonds der GKV wacht, sind außerbudgetäre Förderungen für die Kodierung bestimmter Diagnosen unzulässig.

Das Aufsicht führende Hessische Sozialministerium signalisiert hier allerdings Entwarnung. Es gebe im Land keine – rechtlich unzulässige – Vereinbarung der KV oder einer gesetzlichen Krankenkasse zur Anhebung der Kodierqualität.

In der Präambel des AOK-Vertrags werde "ausdrücklich herausgestellt", dass erweiterte Betreuungs- und Beratungsleistungen bei definierten schwierigen und langwierigen Erkrankungen finanziert werden.

Vertreterversammlung übt scharfe Kritik am Vertrag

In der Vertreterversammlung der KV Nordrhein Ende Juni wurde der neue Vertrag scharf kritisiert. "Die Kritik ist gerechtfertigt, daher werden wir nacharbeiten“, kündigte Bernhard Brautmeier, stellvertretender Vorsitzender der KV Nordrhein, an.

Mit großer Mehrheit beschlossen die Delegierten einen Antrag, die Kündigung des bisherigen Vertrags durch die AOK Rheinland/Hamburg zu verurteilen.

"„Die zusätzlichen Honorierungsmöglichkeiten greifen aber selbstverständlich erst nach tatsächlicher Diagnostik und Dokumentation der Erkrankung", antwortete das Ministerium Medical Tribune.

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