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Online-Glücksspiel Länder wollen Regulierung sicherstellen

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Wie viele Menschen hat das Onlinecasino während Pandemie und Lockdowns in die Spielsucht geführt? Wie viele Menschen hat das Onlinecasino während Pandemie und Lockdowns in die Spielsucht geführt? © iStock/audioundwerbung
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Seit Jahren versuchen die Bundesländer, ­Zockern Grenzen zu setzen. Restriktives Vorgehen hat allerdings nicht viel bewirkt. Die Länder haben deshalb im Juli ihre Strategie angepasst. Die Wirkung muss sich noch zeigen. Doch es gibt bereits warnende Stimmen.

Als er im Spielcasino 5.000 bis 10.000 Euro pro Abend gewann, war für Stefan S. die Welt in Ordnung. Doch dann verlor er häufiger. Er stieg dennoch nicht aus dem Glücksspiel aus, denn Glückssträhnen zwischen den Verlusten verleiteten ihn zum Bleiben. Als ihn das Casino schließlich sperrte, verlegte sich Stefan S. aufs Onlinespiel. Insgesamt verzockte er 150.000 Euro, vorwiegend bei Online-Anbietern.

Erkennbare Risikogruppen beim Glücksspiel

Das ist ein Fall aus Österreich, beschrieben von der dortigen Diakonie. Aber es hätte auch ein Fall aus Deutschland sein können. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) informierte beim jüngsten „Aktionstag Glücksspielsucht“ darüber, dass hierzulande rund 430.000 Menschen von einem problematischen Glücksspielverhalten oder einer Glücksspielsucht betroffen sind. Junge Männer bis 25 Jahre sowie mit Migrationshintergrund oder einem eher niedrigen Einkommen gehören zu den Risikogruppen.

Eine Studie der Universität Bristol zeigt, dass Männer und Frauen, die sich mindestens einmal pro Woche betrinken, eher dazu neigen, regelmäßig Glücksspiele zu spielen. Die Zahl von Ratsuchenden mit einem glücksspielsuchtbezogenen Problem ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen, so die Bilanz der Niedersächsischen Landesstelle für Suchtfragen. Rund 89 % der Klienten seien männlich und durchschnittlich 34 Jahre alt.

Durch Pandemie und Lockdown hat das Onlinespiel zugenommen. Das belegen diverse Untersuchungen, u.a. der DAK. Wie viele Menschen das verlockende Online­gaming in die Spielsucht geführt hat bzw. führt, weiß man allerdings nicht. Professor Dr. Bert te Wildt, Suchtforscher und Chefarzt der Psychosomatischen Klinik Kloster Dießen, zeigte sich gegenüber dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ jedoch überzeugt, dass es nun mehr Menschen sein werden – und dass jene stärker betroffen sind, die ihr Verlangen vielleicht schon einmal im Griff hatten. Zum Anfang der Pandemie sei die Zahl der Internet- und Computersüchtigen in seiner Klinik noch gering gewesen, seit Ende vergangenen Jahres gingen jedoch wieder mehr Anträge von Betroffenen ein.

Häufiges Spiel, das die Lebensführung beherrscht

Symptome der Gaming Disorder (Glücksspielstörung) ähneln denen stoffgebundener Süchte, wie etwa der Alkoholsucht. Im ICD-10-Katalog wird pathologisches Spielen seit 2019 den Impulskontrollstörungen zugeordnet (F63.0). Konkret heißt es: „Die Störung besteht in häufigem und wiederholtem episodenhaften Glücksspiel, das die Lebensführung des betroffenen Patienten beherrscht und zum Verfall der sozialen, beruflichen, materiellen und familiären Werte und Verpflichtungen führt.“ Wer bei schweren Verlusten oder anderen negativen Auswirkungen des Zockens sein Spielverhalten einschränkt, hat zumindest noch kein pathologisches Spielverhalten.

Zahlreiche Rehakliniken bieten mittlerweile Unterstützung für pathologische Spieler an, meist im sogenannten geschützten Setting. Mindestens fünf Wochen dauert eine solche stationäre Rehabilitation, erläutert ­Ulrich Büscher, Leitender Psychologe der Paracelsus-Wittekindklinik Bad Essen. Die ambulante Therapie erstreckt sich über einen Zeitraum von ein bis zwei Jahren. Sie ermöglicht, weiterhin arbeiten zu gehen. Voraussetzung für eine Teilnahme ist allerdings die Glücksspielabstinenz. Daneben gibt es inzwischen Angebote von Ländern, Krankenkassen und freien Trägern für Menschen, die angesichts ihrer Spiel- und Internetsucht Hilfe suchen. Das Innovationsfondsprogramm OMPRIS, hinter dem Kliniken und Unikliniken stehen, ist ein solches. Es führt auf den „Weg zur gesunden Internetnutzung“, und das per Webcam, in mindestens acht Sitzungen innerhalb von vier Wochen. Ziel ist es unter anderem, Medienregeln zu entwickeln, Strukturen für Schlaf, Essen und Hygiene zu fördern sowie analoges Leben zu stärken und Rückfälle zu vermeiden. Seit 2012 versuchen die Bundesländer eher erfolglos, mithilfe eines Glücksspielstaatsvertrags (GlüStV) und eines weitgehenden Spieleverbots den Auswüchsen beim Zocken gegen Geld Herr zu werden. Das Vorhaben wird jedoch durch einen gigantischen Schwarzmarkt von Anbietern aus dem Ausland untergraben. Der GlüStV 2021 soll dem Rechnung tragen. Die Länder wollen nun stärker gemeinsam gegensteuern. Die Zuständigkeit für den Vollzug bei unerlaubten länderübergreifenden Angeboten wird auf eine zentrale Behörde übertragen, wie es sie im Ausland oft schon gibt. Auch eine „White List“ erlaubter Anbieter ist vorgesehen, ebenso der Austausch der Länderaufsichtsbehörden zu unerlaubten Angeboten. Angestrebt wird eine Kanalisierung der Nachfrage spielaffiner Personen – insbesondere aus suchtpräventiven Gesichtspunkten – in Richtung genehmigter, weniger gefahrenträchtiger Spielformen und Veranstaltungen von Online-Casinospielen, virtuellen Automatenspielen und Online-Poker. Besonders suchtanreizende oder leicht manipulierbare Spiele würden nicht zugelassen, heißt es.

Einrichten eines umfassenden Spielersperrsystems

Der GlüStV 2021 gilt ebenso für stationäre Angebote wie Spielhallen, Spielbanken und Wettvermittlungsstellen. Er formuliert für alle Spielformen Rahmenregelungen, nach denen die Länder „eine systemgerechte, kohärente Regulierung des Glücksspielmarktes sicherzustellen“ haben. Dazu gehört:
  • Die Anbieterzahl für Lotterien, Spielbanken und Online-Casinospiele wird beschränkt.
  • Ein anbieter- und spielform­übergreifendes Spielersperrsystem wird eingerichtet.
  • Für die Teilnahme am Glücksspiel im Internet ist ein anbieterbezogenes Spielkonto mit offizieller Registrierung erforderlich.
  • Es gilt ein anbieterübergreifendes Einzahlungslimit, das vom Spieler im Voraus selbst bestimmt wird und 1.000 Euro pro Monat grundsätzlich nicht übersteigt.
  • Parallele Spiele im Internet werden mittels Datei zur Verhinderung parallelen Spiels („Aktivitätsdatei“) verhindert.
  • Veranstalter sind verpflichtet, ein automatisiertes System zur Früherkennung von glücksspielsuchtgefährdeten Spielern einzusetzen.
  • Veranstalter müssen Spieldaten auf einem Safe-Server pseudo­nymisiert und unveränderlich ablegen und Aufsichtsbehörden ggf. zur Verfügung stellen.
Daniela Ludwig, die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, zeigt sich zufrieden hinsichtlich der bundesweiten Lizenzen für Online-Glücksspiele und der neuen Präventionsmaßnahmen: „Immerhin ist es bisher kinderleicht, im Netz sein ganzes Hab und Gut zu verspielen.“ Die zuständige Aufsichtsbehörde müsse bei Verstößen aber auch rigoros durchgreifen. Die BZgA beobachtet seit Inkrafttreten des aktualisierten GlüStV im Juli ein wachsendes Angebot an Glücksspielen sowie immer mehr Werbung dafür. Den Mitarbeitern von „Sucht.Hamburg“, einer Kampagne der Behörde für Arbeit, Gesundheit, Sozia­les und Familie der Hansestadt, erschließt sich nicht, warum mitten in der Pandemie Online-Glücksspiele legalisiert wurden. Geschäftsführerin Christiane Lieb lobt zwar das spielformübergreifende Sperrsystem im Glücksspielstaatsvertrag als neue umfassende Maßnahme und „dass man sich sozusagen selber aus dem Spiel nehmen kann“. Die notwendige Selbstregulierung bei Glücksspielangeboten im Internet – regelmäßige Spielpausen zu machen und frühzeitig den Aus-Knopf zu finden – falle jedoch insbesondere Problemspielern schwer. „Weil viele allein vor dem Bildschirm sitzen, gibt es meist niemanden, der regulierend eingreifen könnte“, so Lieb. Dass es nun hierzulande legale Online-Glücksspielangebote gebe, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich dabei um eine besonders riskante Variante ­handele.

Medical-Tribune-Bericht

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