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Praxiskolumne Lassen wir uns nicht mundtot machen!

Autor: Dr. Cornelia Werner

Unter anderem Impfgegner und Coronaleugner planen böswillige und kaltblütige Aktionen. Unter anderem Impfgegner und Coronaleugner planen böswillige und kaltblütige Aktionen. © iStock/Pict Rider; MT
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Der Hass und die Gewalt, die sich derzeit gegen Ärzte und Wissenschaftler Bahn brechen, erreichen eine neue Dimension, stellt unsere Kolumnistin fest. Doch davon darf man sich nicht mundtot machen lassen.

Mal ehrlich: Wer kennt nicht diese brenzligen Situationen mit Patienten, die gewalttätig werden? Die einen bedrohen und angreifen? Meist geschieht dies bei alkoholisierten oder akut psychotischen Patienten, in Akutsituationen im Rettungsdienst oder in der Notaufnahme. Über manche Dinge kann man im Nachhinein sogar schmunzeln. So wie über die Geschichte, als ein Drogensüchtiger dem Oberarzt mit dem Kruzifix eins überziehen wollte.

Aber es bleiben auch viele Ereignisse in Erinnerung, die ganz anders hätten ausgehen können. Der Junkie, der in den Spritzenabwurf griff und nach der Kollegin damit warf. Der psychotische Patient, der mich durch die Klinik verfolgte. Der Kollege, der im Notdienst aus dem Fenster springen musste, weil ein Patient mit einer Axt hinter ihm her war.

Am schlimmsten sind die Übergriffe, bei denen Kollegen aus Pflege, Ärzteschaft oder Rettungsdienst verletzt werden. Es wäre ein eigenes Thema, dass medizinisches Personal in Akutsituationen verletzt und ermordet wird. Wir alle kennen vermutlich viele solcher Geschichten. Und die Forderung nach mehr Sicherheitsvorkehrungen gibt es schon lange. Passiert ist allerdings bisher nichts.

Doch was ich jetzt als neue Entwicklung beobachte, ist eine Art organisierte, gezielte und wohlüberlegte Gewalt gegen Ärztinnen und Ärzte sowie aktuell auch gegen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Noch nie habe ich so viele Gewaltandrohungen gegenüber diesen Berufsgruppen erlebt wie derzeit.

Dass man wegen einer sachlichen, wissenschaftlichen Argumentation in einem Buch über Homöopathie, wegen der Aufklärung zum Coronavirus oder wegen des Impfens gegen COVID-19 immer wieder Ziel von Drohungen wird und dass sich Telegram-Gruppen organisieren, um mit Reichsbürgern Aktionen gegen einen zu planen und durchführen, ist neu. Ich kenne einen Arzt, für den es eine eigene Ermittlungsgruppe der ­Polizei gibt.

Das Ausmaß an Hass scheint beinahe unermesslich. Briefe mit ausführlichen Androhungen von Folter für das gesamte Praxisteam, so detailliert, dass man es kaum durchlesen kann. „Gut gemeinte Warnungen“ an der Privat­adresse hinterlegt. Bedrohliche Ansprache der Kinder, die vor dem Haus spielen. Einem Kollegen wurde auf seinen Hof gesprayt, dass er bei den „neuen Nürnberger Prozessen“ vor Gericht gestellt werde.

Man kann ja unterschiedlicher Meinung sein. Aber ich bin mir sicher, dass eine Ärztin, die über die Sinn- oder Unsinnigkeit von Homöopathie schreibt, nie einen Homöopathen oder seine Kundschaft beschimpfen und bedrohen würde. Andersherum geschieht dies jedoch regelhaft.

Jemand der impft, würde nie anders als aufklärend auf einen Impfkritiker zugehen. Ihm nicht mit Mord und Totschlag drohen. Andersherum geschieht es.

Es werden Aktionen abgesprochen und geplant. Diese Organisation ist erschreckend und ernst zu nehmen. Denn es sind eben nicht die akut Verwirrten, die in einer Sondersituation dekompensieren. Nein, es sind böswillige, kaltblütige Aktionen.

Die aktuelle Richtungslosigkeit der Politik, die fehlenden Reaktionen auf diese Entwicklung und fehlende Sanktionierung tun ihr übriges. Von unseren Verbänden oder Politikern haben die betroffenen Kollegen keine Unterstützung bekommen. Sie sind auf sich allein gestellt. Dabei wäre eine klare Positionierung mehr als notwendig.

Das Ziel ist es, aufklärerische Stimmen mundtot zu machen. Das dürfen wir als Ärzteschaft nicht zulassen. Wir sollten uns bei jeder Gelegenheit für Fakten und Aufklärung stark machen – in einer Welt, in der Halbwissen und Meinung wie im Mittelalter mit der Keule als Wahrheit durchgesetzt werden soll.

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