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Lasst die Kirche im Dorf!

Autor: Erich Kögler

© fotolia/Kitty/MT
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In seiner meinungsstarken Kolumne "Mit spitzer Feder" geht Erich Kögler regelmäßig mit allerlei Auswüchsen und Absonderlichkeiten der Medizinwelt hart ins Gericht. In seiner aktuellen Kolumne widmet er sich dem Thema "Political Correctness".

Der Shitstorm ließ nicht lange auf sich warten. Kaum war die erste Oktober-Ausgabe der Medical Tribune mit dem Titelseiten-Aufmacher "Getürktes Lob für Praxen" erschienen, meldeten sich die ersten empörten türkischen Mediziner per Mail und Telefon, um ihrem überbordenden Unmut über diese "beleidigende und diskriminierende" Headline freien Lauf zu lassen. Vor Drohungen gegen die Redaktion wurde dabei nicht haltgemacht. Das allein ist lächerlich – und ärgerlich – genug, doch es wird noch besser.

"So weit haben es die Gesinnungspolizisten also schon gebracht"

Die Gralshüter der deutschen Sprache in der Duden-Redaktion sehen die Verwendung des Begriffs "getürkt" nämlich ähnlich kritisch und empfehlen daher dringend, ihn im öffentlichen Sprachgebrauch "unbedingt zu vermeiden". Ich fasse es nicht – so weit haben es die Sprachwächter und Gesinnungspolizisten in diesem Land also schon gebracht! Kein Wunder, dass in manchen Kindergärten der Nikolaus nicht mehr kommt, dass Antidiskriminierungsligen auf den Plan treten, wenn man den Begriff "Negerkuss" verwendet, und geächtet wird, wer nicht immer auch die KollegInnen, die MetzgerInnen, DachdeckerInnen usw. anspricht. Reden wir nicht zuletzt von dem von mir kulinarisch überaus geschätzten Schweinsbraten, der von der Speisekarte der meisten Kindergärten, Mensen und Kantinen mittlerweile aus "Toleranzgründen" gestrichen wurde. "Ja, Kruzitürken" schimpft da der Bayer.

Längst bestimmen Tabus und Sprechverbote den öffentlichen Diskurs. Das hat mich an die Lektüre von George Orwells grandiosem Roman "1984" erinnert. Dieser Autor mit seinen seherischen Fähigkeiten hatte in dem 1949 erschienenen Werk eine Gesellschaft prognostiziert, in der "Neusprech und Gutdenk" zur Tagesordnung und zum Wohlverhalten gehören. Heute nennen wir es so gerne "Political Correctness". Und dank dieser Weichspülerei muss jedes Wort mehrfach auf die Goldwaage gelegt werden. Sensibelste Vorsicht ist angesagt – man könnte ja irgendjemandem verbal auf die Füße treten.

"Der Feministin muss nicht passen, was der Macho von sich gibt"

Auf der Strecke bleibt dabei der Mut, die Dinge beim Namen zu nennen und in Wort und Schrift klare Kante zu zeigen. Sprache, Identität und Werte sind eine Einheit. Und es gehört eigentlich zu den Merkmalen einer liberalen Gesellschaft, durchaus auch mal provozieren und anecken zu dürfen. Niemand wird gezwungen, sich mit jedem Zeitgenossen ins Gespräch zu vertiefen. Wenn der Feministin beispielsweise nicht passt, was der Macho von sich gibt, kann sie ihn ignorieren (umgekehrt natürlich genauso). Der Muslim mag gewisse Karikaturen nicht? Muss er auch nicht. Er kann aber im Gegenzug auch über den vermeintlich gottlosen Zeichner schimpfen.

Wenn schon eine harmlose Überschrift in einer Fachzeitschrift eine derartige Diskussion auslöst, möchte ich gar nicht wissen, was da diesbezüglich noch alles auf uns zukommt. Ich für meinen Teil werde aber meinen Wortschatz beibehalten. Deswegen gehe ich mit meinen Enkeln dieser Tage auch zum Martinsumzug (und nicht zum "Sonne-Mond-und-Sterne-Fest").

Und im Kollegenkreis steht demnächst die Weihnachts-, nicht die Jahresendfeier an. In diesem Sinne rufe ich allen eingangs erwähnten Empörten und Gewaltbereiten fröhlich zu: Lasst doch die Kirche (Moschee, Tempel usw.) im Dorf!

PS: Die wahre Entstehung des Begriffs "getürkt" liegt übrigens sehr lange zurück. Der sächsische Baron Wolfgang von Kempelen (1734–1804) präsentierte 1769 am Wiener Hof der Öffentlichkeit den ersten Schachautomaten der westlichen Welt. Er nannte seine angeblich denkende Maschine "den Türken", denn vor der unförmigen Kiste mit dem Schachbrett saß eine lebensgroße, prunkvoll osmanisch gekleidete Puppe. Das Geheimnis seiner Erfindung, behauptete von Kempelen, liege allein in der komplexen Zahnrad-Mechanik im Inneren der Kiste.

Die Schnelligkeit, mit der der mechanische "Türke" fast jeden Schachspieler seiner Zeit schlug, ließen an dieser Erklärung zweifeln. Die Überlieferung berichtet denn auch, dass sich ein Mensch im Gehäuse der Maschine versteckte. Über eine mechanische Steuerung konnte er seine Schachfiguren mit dem Arm der "Türken-Puppe" bewegen. Den Spielstand überblickte er, indem er in geschickt angeordnete Spiegel schaute, wie sie auch von Zauberkünstlern verwendet werden. Der erste Käufer des Automaten war Friedrich der Große. Der Preußenkönig soll den Schwindel jedoch bald bemerkt haben...

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