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Lieber freiwillige Verträge statt "verkorkstes KV-Zwangssystem"

Gesundheitspolitik Autor: Katja Ewers

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Taugen Selektivverträge nur als Modelle, von denen dann die erfolgreichen Elemente in die Regelversorgung überführt werden?

Dieser Sichtweise in der KBV schließen sich Ärzteverbände, KV- und Kassenvertreter in Baden-Württemberg keineswegs an. "Die HzV steht im Wettbewerb mit dem Kollektivvertrag", so die klare Ansage auf dem Hausärztetag in Stuttgart.

"Die hausarztzentrierte Versorgung in Baden-Württemberg zusammen mit den Facharztverträgen nach § 73c SGB  V verkörpert eine neue, konsistente, flächendeckende Versorgungsstruktur", sagt der Chef des Baden-Württembergischen Hausärzteverbandes, Dr. Berthold Dietsche.

"Keine Erprobung isolierter Vertragsschmankerl"


Unter Verbands-, KV- und Kassen-Oberen im Ländle sorgt eine Passage aus dem KBV-Positionspapier zur Koalitionsvereinbarung der Bundesregierung für Missstimmung.

"Selektivverträge sind eine sinnvolle Ergänzung zum Kollektivvertrag, in denen neue Konzepte vor der Übernahme in die Regelversorgung erprobt werden können", zitiert Dr. Dietsche aus dem Papier, um dann der Mehrheit der KBV-Vertreterversammlung vorzuwerfen, sie habe nicht verstanden, "dass wir hier keine isolierten Vertragsschmankerl erproben, die dann bei Bewährung in den sogenannten Kollektivvertrag übernommen werden können". Mit dem "Chaos der budgetierten Regelversorgung" hätten HzV und 73c-Facharztverträge nur wenig zu tun.

"Die HzV steht als Ganzes im Wettbewerb mit dem Kollektivvertrag", so Dr. Dietsche. In dieses Horn stößt auch Dr. Norbert Metke: "Wir können die Selektivverträge nicht als Modell einsetzen."

Der Vorsitzende der KV Baden-Württemberg sieht in diesen Verträgen außerhalb der Regelversorgung eine notwendige Konkurrenz, die es braucht, um das System als Ganzes weiterzuentwickeln. Er begrüßt es, dass solche Parallelstrukturen unter dem Dach des SGB V ermöglicht wurden.

Der Vorstandsvorsitzende der AOK Baden-Württemberg, Dr. Christopher Hermann, warnt ebenfalls davor, die Selektivverträge in den Kollektivvertrag zu integrieren. Nach seiner Auffassung funktionieren diese Strukturen nur, weil alle Beteiligten freiwillig mitmachen.

"Wer meint, das, was wir hier freiwillig aufbauen, könnte man in dieses verkorkste Zwangssystem der KV-Welt hineinbringen, der hat nichts von dem verstanden, was wir seit Jahren versuchen aufzubauen."

AOK: Honorarbereinigung muss rechtssicher werden

Dr. Werner Baumgärtner, Vorsitzender des Medi-Verbundes, weist darauf hin, dass Baden-Würt­temberg das einzige Bundesland sei, in dem HzV- und 73c-Facharztverträge ineinandergreifend existieren. Das mache sowohl politisch als auch versorgungstechnisch Sinn.

Dr. Baumgärtner: "Es macht Sinn, dass Hausärzte und Fachärzte alles, was Patienten ambulant an Problemen haben, in der Zusammenarbeit lösen. Da brauchen wir kein Krankenhaus, da brauchen wir keine MVZ. Das ist für mich die Zukunft."

Apropos Zukunft: Mit der Abschaffung der Refinanzierungsklausel und der Kassenpflicht zu HzV-Verträgen sei Schwarz-Rot auf dem richtigen Weg. Aber das ist nach Ansicht von AOK-Chef Dr. Hermann noch nicht genug. Er will auch für eine gesetzliche Grundlage für eine "bürokratiearme, rechtssichere Bereinigung" der Vergütung kämpfen.

Die Selektivverträge in Baden-Württemberg will Dr. Hermann weiter ausbauen. Neben dem HzV-Vertrag und der Einbindung der Kinder- und Jugendärzte existieren bisher Verträge zur Kardiologie, Gastroenterologie, Psychiatrie, Neurologie und Psychotherapie, Orthopädie sowie zur intravitrealen operativen Medikamentenapplikation. "Wir müssen diesen Weg weiter gehen, um die Versorgung auch in den Bereichen strukturiert hinzukriegen, die wir noch nicht erreicht haben", so der AOK-Vorsitzende.

Der Allgemeinmedizin fehlt an den Universitäten die Lobby

Das andere große Thema der Podiumsdiskussion auf dem Hausärztetag brennt nicht nur Funktionären unter den Nägeln. Den Nachwuchsmangel in der Allgemeinmedizin erleben alle Praxisinhaber, die einen Nachfolger suchen, am eigenen Leib, wie Wortmeldungen aus dem Plenum deutlich machen.

Bernadett Hilbert, Medizinstudentin an der TU München, kann diese Erfahrung durch Zahlen belegen. Von rund 300 Studenten aus ihrem Semester haben nur acht ihr Praktisches Jahr in der Allgemeinmedizin absolviert. "Ich bin also ein Ausnahmefall", kommentiert die Studentin, die direkt vorm schriftlichen Staatsexamen steht.

Dass die Allgemeinmedizin an den Universitäten keine Lobby hat, wie der Bundesvorsitzende des Haus­ärzteverbandes, Ulrich Weigeldt, betont, wird von Hilbert belegt: Von den 3000 Seiten Kompendium für ihr Staatsexamen sind gerade mal 21 für die Allgemeinmedizin reserviert.

Was muss also passieren, damit wieder Nachwuchs in die Hausarztpraxis kommt? Hilbert hat da klare Vorstellungen: Pflichtquartal Allgemeinmedizin während des PJ,
ad­­äquate finanzielle Förderung während der Aus- und Weiterbildung und an jeder Universität einen Lehrstuhl Allgemeinmedizin.

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