Anzeige

Mit 70 voller Lebenskraft: her mit dem Wundermittel!

Autor: Dr. Cornelia Tauber-Bachmann

Anzeige

Unsere Kolumnistin macht frei und erlebt ihr blaues Wunder. Wieso sich ausgerechnet in Hildesheim die alte Frage nach Energie und Lebenskraft beantworten lässt - oder auch nicht.

Was ist das schönste am Monat Mai? Nach Auskunft meiner Angestellten ist die Frage eindeutig zu beantworten: die sogenannten Brückentage. An denen es sich leicht einrichten lässt, mit einem Urlaubstag bzw. einem Tag „Praxisschließung“ einen Kurzurlaub von vier Tagen einzulegen. Und so habe auch ich mich, nicht ganz uneigennützig, breitschlagen lassen und an einem solchen Freitag die Praxis zugemacht.


Auf diese Weise kamen wir, mein Mann und ich, zu einer Städtetour durch Hildesheim. Bei frischen Temperaturen, aber herrlichem Sonnenschein fanden wir uns zur Stadtführung vor dem Touristenbüro ein. Unsere Stadtführerin war eine kleine zierliche Dame von Anfang 70, flott gekleidet mit Jeanshose und leuchtend blauem Blazer. Sie fragte gleich zu Beginn die Gruppe, ob diese viel oder wenig zu sehen wünsche. Selbstverständlich wollten wir alle viel sehen!

Unerwartet: rasende Rentner in Hildesheim

Und dann ging‘s los: Die ältere Dame zischte ab wie Speedy Gonzales, die schnellste Maus von Mexiko (Sie erinnern sich an die Zeichentrickserie?). Innerhalb kürzester Zeit erreichte die Gruppe eine Länge von etwa 150 Metern mit einer leuchtend blauen Spitze. Nebenher erzählte unsere Stadtführerin noch locker die wichtigsten Daten zur Geschichte der Stadt, wies uns auf kunstgeschichtliche Höhepunkte hin, und wenn sie nicht ab und an hätte stehen bleiben müssen, um genauere Erklärungen abzugeben, wäre vermutlich die Hälfte der Gruppe unterwegs verloren gegangen.


Dabei gelang es ihr noch, ihre Liebe und Begeisterung zu ihrer Heimatstadt rüberzubringen. Als sie dann bei einer Rast meinte: „Ich bin schon älter, das haben Sie ja sicher bemerkt“, konnten wir nur den Kopf schütteln. Sprechen war den weniger Trainierten unter uns aufgrund der Dyspnoe nicht mehr möglich.


Nun konnte ich es mir aber nicht verkneifen, diese Frau mit gleichaltrigen Patienten und Patientinnen aus meiner Praxis zu vergleichen. Viele von ihnen hadern mit ihren chronischen Krankheiten, sind klagsam und eher antriebsarm und tun sich sehr schwer, ihr Alter zu akzeptieren. Woher hat diese Frau ihre Vitalität, ihre immer noch vorhandene Begeisterungsfähigkeit, ihre körperliche und geistige Fitness? Ist die Luft in Hildesheim so viel besser? Das Essen? Das Senioren-Sportangebot? Die geistige Atmosphäre? Die vielen Kirchen? Oder die genetische Ausstattung der Niedersachsen?

Hausmannskost und gute Luft?

Das mit der Luft fällt mir schwer zu glauben. Liegt doch Hildesheim im Großraum Hannover. Die übliche Kost in Niedersachsen ist eher von der Tradition her für bäuerliche Schwerarbeiter gedacht, über das Sportangebot der Stadt weiß ich nichts. Was die vielen Kirchen damit zu tun haben könnten, bleibt natürlich im Bereich der Spekulation, das Gleiche gilt für die Idee mit der „geistigen Atmosphäre“.


Ich glaube, diese Frau verfügt einfach über eine erstaunenswert starke Lebensenergie und Vitalität. „Vis vitalis“, Lebenskraft, ist der „vor-naturwissenschaftliche“ Begriff für ein Phänomen, das wir heute genauso wenig wie damals erklären können. Im positiven wie im negativen Sinne! So ist es für uns doch oftmals auch nicht erklärbar, warum ein alter Mensch, dessen körperliche Funktionen alle noch in Ordnung sind, auf einmal sterben will – und dann auch stirbt.

Lebenskraft, Qi und Ojas: die vielen Gesichter der vis vitalis

Beob­achtet, beschrieben und umschrieben wird dies in nahezu allen uns bekannten Medizinsystemen: Sei es als pathologisches Phänomen in den homöopathischen Repertitorien, zu finden unter ... „Mangel an Lebenskraft“, oder das „Qi“, insbesondere das Nieren-Qi, wie es in der chinesischen Medizin bezeichnet wird. In der ayurvedischen Medizin gibt es dafür den Ausdruck „Ojas“. Und Lebenskraft, Qi oder Ojas können zwar durch eine bestimmte Form der Lebensführung gepflegt und erhalten werden, und das mit gutem Erfolg. Aber die Grundausstattung, die Grundkonstitution ist von der Genetik beziehungsweise von den Ahnen her mitgegeben.


Also hat die Frau neben vielleicht jahrzehntelanger gesunder Lebensführung auch extremes Glück gehabt! Beneidenswert. Aber vielleicht, liebe Kollegen in Hildesheim, steckt ja ein ganz anderes Geheimnis dahinter? Ein guter Hausarzt oder eine Hausärztin, mit dem/der die ältere Dame seit vielen Jahren vertraut ihre kleineren und größeren Krankheiten behandelt. Ein Kollege, der sie gut beraten hat und ihr weiter die positive Lebenseinstellung vermittelt bzw. erhält? Oder vielleicht ist die Frau ja gedopt? Wenn ja, wäre ich auf dieses Wundermittel wirklich neugierig.

Anzeige