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Nach dem Skiurlaub war mein Gedächtnis weg

Autor: Dr. Frauke Höllering

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MT-Kolumnistin Dr. Frauke Höllering berichtet, wie sie am ersten Arbeitstag in der Praxis, nach ihrem Skiurlaub, schier verzweifelt.

Guten Morgen!“, sagte ich mit meinem schönsten Montagmorgengesicht, „was kann ich Ihnen heute Gutes tun?“ Mein Gegenüber erwiderte mein Lächeln nicht. „Sie haben mich doch für heute Morgen zur Kontrolle bestellt!“, sagte er misstrauisch. „Da weiß ich doch nicht, was Sie wollen“. Oha.


Da war es wieder, dieses Gefühl des totalen Blackouts. Kaum fährt man mal für eine Woche in den Urlaub, da löscht sich wie von selbst der persönliche Datenspeicher. Eigentlich ist es eine wunderbare Sache, wenn man sich erholen kann, ohne mehr als nur einen vagen Gedanken der zurückbleibenden Praxis zu widmen. Ich hatte weder Fachzeitungen noch Akten, Praxis-E-Mails oder Kassenanfragen an mich gelassen, um mich nur meinen Lieben und dem Schnee zu widmen. Das aber rächte sich nun bitter.


Mit einem Seitenblick streifte ich schnell die Akte meines Patienten im PC. Vorausschauend hatte ich vor dem Urlaub ein paar Stichworte notiert: „Wenn Beinödeme rückläufig, Amlodipin weiter ab und ersetzen“, stand da. Und: „Muss noch Impfstatus abklären.“ Na also! Elegant kam ich zum Thema und hoffte, dass der etwas holperige Beginn unseres Gespräches in Vergessenheit geraten würde. Schließlich kann ich verstehen, dass Patienten enttäuscht und verärgert sind, wenn wir so gar nicht mit ihrer Krankengeschichte vertraut scheinen.

Ultraschall? Heute? Ich kann mich an nichts erinnern

Aber eine Viertelstunde später war ich schon wieder in die Erholungsfalle getappt. Die ältere Dame, die ich ins Sprechzimmer gerufen hatte, war mir nur äußerst zögerlich gefolgt. Nachdem sie ihre Jacke sorgfältig über den zweiten Besucherstuhl gefaltet, die Handtasche daneben verstaut, den Gehstock in die Ecke gelehnt und ihre 110 kg mühselig auf ihrem Stuhl arrangiert hatte, schaute sie mich fragend an: „Wollten Sie nicht heute einen Ultraschall machen?“ Stimmt, das wollte ich eigentlich, zeigte mir der hektische Blick auf den elektronischen Terminkalender. Nur war mir das total entfallen, während ich eine Woche lang höchstens ans Skilaufen und an leibliche Genüsse gedacht hatte.


„Natürlich“, versuchte ich mich aus der Affäre zu ziehen, „aber vorher wollte ich noch kurz den Blutdruck kontrollieren und nach Ihren Krampfadern fragen.“ So, das war’s mit meinem Zeitplan! Als die zufriedene Patientin sich wieder erhob, ihre Siebensachen beieinander hatte und mir in den Ultraschallraum folgen wollte, musste ich sie leider wieder bremsen: „Tut mir leid, ich sehe gerade, dass der Raum inzwischen von meiner Kollegin belegt wurde“, murmelte ich. „Wenn ich Sie bitten dürfte, hier eben kurz Platz zu nehmen.“ Jacke über den Stuhl gefaltet, Handtasche daneben ... Und alles nur wegen meines leeren Datenspeichers.

Wie war noch mal die Ziffer des Diabetes-DMP?

Bald kam ein anderes Schwergewicht in die Sprechstunde: Hoher Blutdruck, hoher Zucker, hoher Harnsäurewert. „Haben Sie denn gar nicht versucht, ein Bier weniger zu trinken und ein bisschen bewusster zu essen?“, fragte ich während der DMP-Untersuchung. Meine leicht gefurchte Stirn sollte Strenge andeuten, der ernsten Situation angemessen, aber überzeugend wirkte ich nicht. Hatte ich nicht zwei zusätzliche Kilos unter meinen Kittel gezwängt, die ich der üppigen Tiroler Kost und den fröhlichen Après-Ski-Bieren zu verdanken hatte? Wie sollte ich zur Mäßigung aufrufen, wenn ich selbst dem kulinarischen Leichtsinn gefrönt hatte und so eher dem Rubens- als dem Dr.-Strunz- Idealbild entsprach? Wir einigten uns darauf, dass man wenigstens versuchen solle, die Pfunde nicht allzu sehr wuchern zu lassen. Heroisch versprach ich mir selbst, an diesem Abend auf jegliche Mahlzeit zu verzichten.


Aber nun nervte sie wieder, die Leere im Datenspeicher: Wie war noch mal die Ziffer für das Diabetes-DMP? Schon nach der Ultraschalluntersuchung hatte ich einen Zahlendreher bei der Ziffer, den mein PC zu akzeptieren sich weigerte.


Bedeutet Erholung denn wirklich, dass man so viel vergessen muss? An diesem Montag kramte ich noch in meinem Gedächtnis nach einer bestimmten Salbe und dem Namen eines Medikamentes, das ich nur selten rezeptierte. Dafür fiel mir mittags ganz selbstverständlich die PIN-Nummer für meine EC-Karte ein, über die ich vor dem Urlaub verzweifelt nachgegrübelt hatte. Na also! Wenn ich schon nicht vernünftig arbeiten konnte an diesem ersten Tag, konnte ich wenigs­tens einkaufen.

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