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Nachwuchsförderung Allgemeinmedizin: Schon früh in die Hausarztpraxis

Gesundheitspolitik Autor: Ruth Bahners

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„Der einzige Weg, um Nachwuchs für die Hausarztpraxen zu rekrutieren, ist eine gut aufgestellte, institutionalisierte Allgemeinmedizin an der Universität.“ Professor Dr. Stefan Gesenhues weiß, wovon er spricht: Er ist seit mehr als 20 Jahren für dieses Fach an der Universität Duisburg/Essen engagiert.

Aber es seien auch Gesetzesänderungen notwendig. „Das hausärztliche Pflicht-Tertial im Praktischen Jahr muss eingeführt werden“, fordert Prof. Gesenhues. Das will er zusammen mit Kollegen von der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) auch der neuen Bundesregierung vortragen.


In Essen sei der Beweis angetreten, dass das frühzeitige praktische Engagement in Hausarztpraxen zu positiven Entscheidungen für die Allgemeinmedizin führe. 240 Erstsemester begannen ihr Studium im Wintersemester 2012/2013. Bereits in der Vorklinik können sich die Studierenden im Wahlfach für die Allgemeinmedizin entscheiden. „Und sie tun es zahlreich und gern“, so Prof. Gesenhues.

Medizinstudierende früh an die Allgemeinmedizin heranführen

In Essen werde besonderes Gewicht auf den Praxisbezug gelegt. Dafür sorgen vor allem die Dozenten aus „echten“ Hausarztpraxen. Es sind 180 erfahrene Fachärztinnen und -ärzte, die in einer akademischen Lehrpraxis tätig sind und sich zugleich für die Lehre in Essen engagieren. Sie erhalten die Möglichkeit zu einer hochschul­didaktischen Schulung, um sich auf ihre Lehrtätigkeit vorzubereiten.


Die enge Zusammenarbeit mit den Lehrpraxen sei ein weiterer Baustein für den Erfolg der Allgemeinmedizin in Essen. Dabei unterscheidet der Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin (IfAM) zwei Arten von Lehrpraxen: die, in denen das zweiwöchige Block-Praktikum während des Studiums abgeleistet werden kann, und die, in denen ein Wahlter­tial des PJ absolviert werden kann.


Die Ärzte in den Lehrpraxen müssen mindestens fünf Jahre niedergelassen sein. Die Hausarztpraxen dürfen nicht weniger als 800 Scheine haben. Sie müssen ein adäquates Equipment vorhalten und die Studierenden müssen die Möglichkeit haben, an der Sprechstunde teilzunehmen. Zweimal im Jahr gibt es Lehrschulungen für die engagierten Ärzte. Bewerber für Lehrpraxen und auch für eine Dozententätigkeit sind in Essen herzlich willkommen. Aber: „Wir wollen Kolleginnen und Kollegen, die Spaß an ihrem Fach haben und nicht die, die alles schlecht­reden“, betont Prof. Gesenhues.

Interessantes Praxismodell: Hausärztin im Schichtdienst

Die konkreten Erfahrungen aus der Praxis sind es vor allem, die die angehenden Ärzte für eine Tätigkeit als Hausarzt motivieren können, meint Dr. Anne Breetholt, als Fachärztin für Allgemeinmedizin niedergelassen in Ochtrup und Lehrbeauftragte in Essen. Junge Frauen fürchteten z.B. die zeitliche Belastung in einer Hausarztpraxis und hätten eher eine angestellte Tätigkeit im Wissenschaftsbetrieb vor Augen. Wenn sie dann hören, dass in der Praxis in Ochtrup ein Schichtbetrieb die Arbeitszeit des Einzelnen klar regele, steige die Bereitschaft als Hausärztin zu arbeiten deutlich.


Die Betreuung der PJ-Studierenden erfolgt in hochqualifizierten Praxen mit eigenem Arbeitsplatz und einer 1:1-Betreuung. Durch Fallbesprechungen, Hausbesuche, Mitarbeit im Bereitschaftsdienst und Begleitseminare im Institut werde gründliches Erlernen von Anamnese- und Untersuchungstechniken sowie differenzialdiagnostisches Denken gefördert.

Mit Stipendien die Studierende in die Hausarztpraxis bringen

Die Ärzte in den Lehrpraxen werden zudem durch das IfAM Essen geschult, entsprechend dem Curriculum der Gesellschaft der Hochschullehrer für Allgemeinmedizin für PJ-Praxen. Dieser Qualitätsanspruch zahlt sich aus. Prof. Gesenhues berichtet, dass viele von den Studierenden, die ihre PJ-Wahlzeit in einer Hausarztpraxis verbringen, auch die Weiterbildung zum Allgemeinmediziner wählen. „Je mehr Studierende im PJ in die Allgemeinmedizin gehen, umso mehr Allgemeinmediziner werden wir haben“, prophezeit Prof. Gesenhues. Das IfAM Essen betreut rund 20 PJ-Studierende pro Jahr.


Auch die beiden Kassenärztlichen Vereinigungen in Nordrhein-Westfalen hätten erkannt, dass das PJ die entscheidende Schnittstelle sei, berichtet Prof. Gesenhues. Daher vergeben sowohl die KV Nordrhein als auch die KV Westfalen-Lippe Stipendien an Studierende, die einen Teil ihrer PJ-Zeit in Hausarztpraxen verbringen wollen. Das sind immerhin bis zu 600 Euro im Monat. Die KV Nordrhein stellt 100 Stipendien pro Jahr. In Westfalen werde das Kontingent noch nicht ausgeschöpft, meint Prof. Gesenhues.

Wissenschaftler für die Versorgungsforschung

Das IfAM in Essen versucht auch in der Lehre eigene, praxisbetonte Wege zu gehen. So wird bereits für die Erstsemester ein Seminar „Ärztliche Gesprächsführung“ angeboten. Ein Thema, das nach Prof. Gesenhues‘ Auffassung im hiesigen Gesundheitssystem vernachlässigt wird. Noch eine Besonderheit in Essen sei, dass die beiden Querschnittsbereiche des Studiums „Palliativmedizin“ und „Geriatrie“ federführend vom Institut für Allgemeinmedizin organisiert und gelehrt werden. „Das macht Sinn“, meint Prof. Gesenhues, „da beides ureigenste Tätigkeitsfelder der hausärztlichen Versorgung sind“.


Der universitäre Weiterbildungsverbund Allgemeinmedizin rundet das Engagement für den Hausarztnachwuchs ab. Nach Aussage des Institutsdirektors erwerben die Ärzte in Weiterbildung für Allgemeinmedizin in Essen sowohl eine klinische als auch wissenschaftliche Qualifikation in Kliniken und Lehrpraxen. So werden nicht nur neue Hausärzte ausgebildet, sondern auch wissenschaftlicher Nachwuchs für die hausärztliche Versorgungsforschung.

Neue Felder in der Palliativmedizin


Das Kompetenzzentrum Palliativmedizin am IfAM in Essen ist seit 2012 zentral für die Ausbildung der Medizinstudierenden zuständig. Es legt einen besonderen Schwerpunkt auf die Betreuung von Patienten mit fortgeschrittenen internistischen und neurologischen Erkrankungen. Während für die Versorgung Tumorerkrankter bereits viele Konzepte existieren, bestehe für die große Zahl der „Nichttumorerkrankten“ noch Entwicklungsbedarf. Immerhin gehen fast 75 % der Sterbefälle in Deutschland auf diese Erkrankungen zurück.

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