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Nahles: PKV heißt preislich kein Vergnügen

Gesundheitspolitik Autor: Michael Reischmann

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Lässt sich von 144 Beschwerden privat Krankenversicherter über kräftige Beitragsanhebungen schon auf einen Systemfehler der PKV schließen? Die einstige Sozialministerin von Mecklenburg-Vorpommern, Dr. Martina Bunge (Die Linke), meint: „Die PKV ist nicht reformierbar. Sie muss abgeschafft werden und mit ihr die Zwei-Klassen-Medizin."

SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles verkündet: „Die Beitragssteigerungen in der PKV nehmen zum Teil ein irrwitziges Ausmaß an. Die PKV steht mittlerweile für preislich kein Vergnügen.“ Die Politikerin ist schon im Wahlkampfmodus: „Jetzt ist es Zeit, die Bürgerversicherung einzuführen. Kostenvorteile für die PKV ohne eine Einbeziehung in die gesamtgesellschaftliche Solidarität lehnen wir ab.“

Die vom Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) im März in Berlin vorgestellten Fälle und Forderungen zum Reformbedarf der PKV sind ein weiterer Tritt gegen diese Versicherungssäule. AOK- und Ersatzkassenverband halten sich hier ebenfalls nicht vornehm zurück.

Die PKV-Unternehmen bekommen „diese Krise nicht selbst unter Kontrolle“, stellt der Vorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Jürgen Graalmann, öffentlich fest. „Die Politik ist dringend gefordert, die ausufernden Tarifsteigerungen bei den privaten Anbietern zu stoppen. Gäbe es derartige Kostensteigerungen bei den gesetzlichen Krankenkassen, hätten die Aufsichtsbehörden längst die Schließung der Kasse verkündet“, ergänzt vdek-Chef Thomas Ballast.

Sachleistungsprinzip und GKV-Preise für die PKV

Über solch „abfällige Äußerungen“ ist PKV-Verbandsdirektor Dr. Volker Leienbach entrüstet. Er versucht mit anderen Zahlen der Debatte den Wind aus den Segeln zu nehmen: Mehrere unabhängige Branchen-Analysedienste hätten aktuell einen Beitragsanstieg in der PKV von durchschnittlich nur rund 2 % festgestellt. Das Analysehaus Morgen & Morgen habe nachgewiesen, dass es für rund 45 % der PKV-Tarife 2012 gar keine Beitragserhöhung gebe. Und die steigenden Gesundheitskosten beträfen beide Versicherungssysteme gleichermaßen (Steigerungsrate p.a. seit 1997: PKV 3,3 %, GKV 3,1 %). Die  Schlussfolgerungen der Verbraucherzentrale aus 144 Beschwerden bei neun Millionen Privatvollversicherten hält Dr. Leienbach für unseriös.

Die Verbraucherschützer verspüren dagegen akuten Handlungsbedarf für Bundesjustiz- und Bundesgesundheitsministerium. Sie fordern vor allem, dass die Wechselmöglichkeiten zwischen den Tarifen und den PKV-Anbietern verbessert werden. Dementsprechend sollten beispielsweise Neutarife so gestaltet sein, dass ein Tarifwechsel ohne Gesundheitsprüfung möglich ist.

Doch vzbv-Vorstand Gerd Billen ist das noch nicht genug, er fordert „grundlegende Änderungen, um Gerechtigkeitsdefizite auszugleichen und Effizienzsteigerungen zu erzielen“. Innerhalb der PKV fehle es an einer Qualitätssicherung bei den Leistungserbringern und einer wirksamen Kostendämpfung.

„Überversorgung eindämmen“

Die Verbraucherschützer argumentieren, dass das Nebeneinander von GKV und PKV zu Verzerrungen in der Versorgung führt – die Leis­tungserbringer orientierten sich bei ihrem Angebot und Service am Versichertenstatus ihrer Patienten anstatt am medizinischen Bedarf. Nach einer Studie des IGES-Instituts würden in der PKV – vor allem im Bereich der ambulanten Versorgung – für aus medizinischer Sicht vergleichbare Leistungen höhere Preise gezahlt als in der GKV. Nach dem Tätigkeitsbericht des PKV-Ombudsmanns für das Jahr 2010 entfielen 13,9 % der Beschwerden auf Streitigkeiten über die Ärzterechnungen. Der Verbraucher sei hier in einer Sandwich-Position zwischen Versicherer und Leistungserbringer.

Die Verbraucherschützer fordern die Einführung des Sachleistungsprinzips in der PKV: Die Abrechnung erfolgt nur noch zwischen Leistungserbringer und Versicherungsunternehmen; der Patient erhält eine Kopie der Abrechnung und muss sich nicht mehr um die Erstattung der Kosten streiten. Der vzbv will, dass für Leistungen, die dem GKV-Umfang entsprechen, nur GKV-Preise abgerechnet werden dürfen. Dies würde „die tendenzielle Überversorgung der Privatversicherten eindämmen“. Zudem soll eine Einkommenskomponente bei der Prämienkalkulation eingeführt werden.

Dr. Montgomery: PKV nicht unterminieren

Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jens Spahn, hat die Vorstellung eines einheitlichen Versicherungsmarktes; die Zusatzversicherung soll „das klassische Geschäft der privaten Versicherer“ bleiben.

Solche Visionen werden nicht nur auf dem Deutschen Ärztetag für Positionsbestimmungen sorgen. BÄK-Präsident Dr. Frank Ulrich Montgomery hält eine Angleichung der PKV ans GKV-System für den falschen Weg. Politiker sollten sich dafür einsetzen, die PKV „im Interesse eines langfristig funktionsfähigen und finanzierbaren Gesundheitswesens nachhaltig zu stärken“, anstatt sie „zu unterminieren“.

Doch ist schon jetzt klar: Das Reformmodell der Bürgerversicherung – bei SPD, Grünen und Linken in Variationen favorisiert – wird ein Revival erleben.

 

Stöhnen über die PKV-Beitragslast


In den letzten drei Monaten haben die Verbraucherzentralen 144 Beschwerden von PKV-Kunden über Beitrags- und Wechselprobleme ausgewertet. Demnach stiegen die Prämien zum Jahreswechsel im Schnitt um 23,9 %. Besonders negativ fielen die Central Krankenversicherung (65 Beschwerden) und die Gothaer Versicherung (25) mit einer durchschnittlichen Erhöhung von 28,4 % bzw. 26,4 % auf. Die Spitze war ein Plus um 60 % bei der Central.

 

Die Beschwerden betreffen mit wenigen Ausnahmen Verträge, die länger als zehn Jahre bestehen, und Versicherte, die älter als 45 Jahre sind. „Kunden berichten, dass sie die Beitragshöhen im Ruhestand auf keinen Fall mehr zahlen können“, so Michael Wortberg, Versicherungsexperte der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz. In einem Extremfall zahle eine 59-jährige Frau einen monatlichen Beitrag in Höhe von 1095 Euro. Kritisiert wird, dass das Wechselrecht der Versicherten in einen günstigeren Tarif vielfach unterlaufen werde: Nur in vier Fällen war zu erkennen, dass der Wechsel problemlos stattfinden konnte.


Der PKV-Verband widerspricht (siehe oben) und erklärt: „Selbst in den seltenen und definitiv nicht repräsentativen Fällen höherer Beitragsanpassungen haben alle Versicherten innerhalb der PKV preiswertere Alternativen.“

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