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Okay, ich bin schuld!

Autor: Dr. Frauke Höllering

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Unsere Kolumnistin übt sich in der Rolle als Überbringerin schlechter Nachrichten, respektive Diagnosen und weigert sich dann noch, Fango und Massage zu verschreiben. Über wütende Patienten mit Anspruch.

Mit zusammengezogenen Augenbrauen schaut mich mein Patient finster an: „Und jetzt? Was haben sie jetzt vor?“ Zunächst einmal habe ich gar nichts vor, außer mich von der düsteren Stimmung meines Gegenübers nicht anstecken zu lassen. Anklagend fährt er fort: „Sie wollten mich ja unbedingt untersuchen. Nun haben wir den Salat!“ Könnte man Salat auslöffeln, würde er mich wahrscheinlich dazu auffordern.

Schließlich war ich es, die ihn zu einem Check-up überredet hat – einen Patienten, der sich nur hin und wieder bei mir sehen lässt, um sich wegen seines angeschlagenen Rückens ein paar Tage krankschreiben zu lassen. Und jetzt brocke ich ihm eine Zuckerkrankheit ein! Obwohl ich ihn behutsam über diese Diagnose in Kenntnis gesetzt habe, fällt seine Reaktion entgeis­tert, aber nicht ungewöhnlich aus: „Ich habe mich immer gut gefühlt, bis heute!“, brummt er. „Hätten Sie mir nicht diese schwachsinnige Untersuchung angedreht, wäre es auch genau so geblieben. Jetzt kommen Sie mir wahrscheinlich mit Spritzen und dies nicht essen und das nicht essen … Wäre ich doch bloß friedlich zu Hause geblieben!“

„Sie wollten mich ja unbedingt untersuchen. Nun haben wir den Salat!“

Während seines Monologs bebt sein mächtiger Bauch vorwurfsvoll und es gibt keinen Zweifel, dass ich erneut die Rolle des Sündenbocks einnehmen soll. Habe ich jeden Abend zwei Liter Bier getrunken und alles gegessen, was die Pommesbude hergibt? Lege ich jeden kleinsten Weg mit dem Auto zurück? Mache ich einen großen Bogen um Sportanlagen (außer um das Fußballstadion des Lieblingsvereins mit seiner hervorragenden Bratwurst) oder verabscheue Wasser als Getränk, weil darin Fische „der Liebe frönen“?

Nein, und trotzdem bin ich hier der Spielverderber – schuld daran, dass sich künftig vielleicht schon beim zweiten Bier das schlechte Gewissen meldet, die holde Gattin triumphierend das letzte Stück Kuchen selber essen wird und die Extraportion Mayo auf den Pommes nun bald der Vergangenheit angehören soll.

Früher hat man die Überbringer schlechter Nachrichten büßen lassen. Heute auch.

Früher hat man gern die Überbringer schlechter Nachrichten dafür büßen lassen, aber auch heute ist das manchmal noch so. Nicht immer so genervt wie bei diesem Patienten, aber doch häufig in dem Tenor: „Sie haben mir diese Diagnose serviert, nun sehen Sie zu, wie Sie damit fertig werden!“. Bei grippalen Infekten, die ich gerne mit Bettruhe zu behandeln pflege, stoße ich häufig auf Widerstand: „Wo denken Sie hin? Ich muss arbeiten!“ Wahlweise „Ich muss auf eine Hochzeit“, „Ich muss für meine Kinder sorgen“, „Ich fliege morgen in den Urlaub“, alle mit derselben Aufforderung: „Tun Sie doch was!“

Manchmal hege ich sogar leises Verständnis für die Kolleginnen und Kollegen, die in solchen Fällen wider besseres Wissen ein Antibiotikum verschreiben. Damit haben sie ein klares Zeichen gesetzt, dass sie bereit sind, der soeben diagnostizierten Krankheit mit allen Mitteln den Garaus zu machen. Auch, wenn das gegen jede ärztliche Kunst und Mitgrund für die um sich greifende Antibiotikaresistenz ist (nein, so weit bin ich noch nicht!).

„Da müssen Sie doch einfach Fango und Massagen aufschreiben“

Am häufigsten erlebe ich diese selbstverständliche Verantwortungsübergabe an den armen Doktor bei rückenkranken Patienten, insbesondere dann, wenn die bildgebende Diagnostik einen Bandscheibenvorfall zeigt: „Da müssen Sie doch einfach Fango und Massagen aufschreiben“, forderte eine resolute Mittvierzigerin von mir, „mein Mann sagt auch, ich sei ganz verspannt!“ Ich hatte ihr zugestimmt, dass die Verspannung nicht zu bestreiten und durch ein intensives Übungsprogramm deutlich zu bessern wäre.

„Wollen Sie also gar nichts dagegen machen?“, lautete die entgeisterte Rückfrage. „Doch“, sagte ich, „ich schreibe die Verordnung, aktiv werden müssen Sie!“ Es kostete sicher eine Viertelstunde, ihr zu vermitteln, wie sehr der Physiotherapeut und wie wenig bzw. kurzfris­tig sie selbst durch die Massagen gelockert würde. Zumindest dann, wenn ihr Sport weiterhin aus Marathonhäkeln auf dem heimischen Sofa bestünde.

Die Vorstellung, über Jahre in die Krankenversicherung „einbezahlt“ zu haben und nun bei dieser dramatischen Entwicklung nicht einmal tröstliche Wärmepackungen zu erhalten, erschütterte das seelische Gleichgewicht meiner Patientin sichtlich. Da ich ihr diese schreckliche Diagnose eingebrockt hätte (nicht aber die Kernspintomographie, das war der orthopädische Kollege), müsste ich dafür sorgen, dass sie ein wenig verwöhnt werde! Zuhause tröstete mich der Mann meines Herzens. „Ich kaufe dir ein T-Shirt“, schlug er vor, „mit dem Aufdruck: ‚Okay, ich bin schuld!‘“ Prima, dachte ich. Es gibt noch viele Situationen, in denen ich es tragen kann!

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