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PC schlägt Diagnosen und Therapien vor

Gesundheitspolitik Autor: Petra Spielberg

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Das Marburger Universitätsklinikum testet gerade einen neuartigen digitalen Helfer, mit dessen Unterstützung Diagnosen vereinfacht und beschleunigt werden könnten.

Im Zentrum für unerkannte und seltene Erkrankungen (ZusE) der Universitätsklinik Marburg landen Patienten, die oftmals eine Odyssee an Arztbesuchen hinter sich haben und immer noch nicht wissen, was ihnen fehlt. Und auch beim ZusE gestaltet sich die Suche nach der richtigen Diagnose mitunter arbeitsintensiv und langwierig. Deshalb setzt das Zentrum neuerdings auf ein kognitives Computersystem, das mittels Diagnose- und Therapievorschlägen Zeit und Kosten sparen sowie die Patientensteuerung optimieren soll.

„Die enorme Flut an Anfragen, die unser Zentrum erreicht, können wir ohne eine innovative technologische Unterstützung nicht mehr bewältigen. Bereits jetzt haben wir extrem lange Wartezeiten“, so Professor Dr. Jürgen Schäfer, Internist und Leiter des ZusE.  Der von IBM entwickelte Hochleistungsrechner Watson wertet für die Diagnosestellung innerhalb von nur wenigen Minuten alle erforderlichen Patientendaten einschließlich der Familienanamnese sowie die aktuelle Medikation aus und formuliert daraufhin eine Diagnose sowie eine oder mehrere Behandlungsoptionen.

„In die Analyse können zudem  Informationen aus medizinischen Datenbanken, klinischen Studien, Behandlungsrichtlinien sowie Artikel aus  medizinischen Fachzeitschriften einfließen“, erklärt Professor Dr. Bernd Griewing, Ärztlicher Direktor der Neurologischen Klinik GmbH Bad Neustadt und Vorstand Medizin der Rhön Klinikum AG, der die Universitätsklinik Marburg angehört.„Für Ärzte und medizinisches Fachpersonal bedeutet die digitale Unterstützung eine enorme Arbeitserleichterung“, so Prof. Schäfer. Da das System „lernfähig“ sei,  könnten die gesammelten Daten zudem für weitere Patienten mit einem ähnlichen Krankheitsbild nützlich sein.

„Die Entscheidung, welche Diagnose und Therapie im jeweiligen Behandlungsfall richtig sein dürfte, liegt aber nach wie vor beim Arzt“, betont Prof. Griewing. Der Computer solle lediglich assistieren, den Arzt aber nicht ersetzen, so der Neurologe.

„Entmenschlichung“ der Medizin wird vorangetrieben

Andere Mediziner, wie Dr. Stephan Nolte aus Marburg, sehen den Einsatz des digitalen Assistenten weit weniger positiv. Der Kinder- und Jugendmediziner befürchtet, dass Rhön langfristig auch die ambulante Versorgung im Marburger Raum mit telemedizinischen Verbundambulanzen übernehmen könnte. „Das Arzt-Patienten-Verhältnis ist eine sehr emotionale Beziehung“, meint Dr. Nolte. Durch den Einsatz innovativer Technologien wie Watson würde dagegen die „Entmenschlichung“ der Medizin weiter vorangetrieben.

„Es geht dann nicht mehr darum, wie es einem Patienten geht, sondern nur noch darum, was er hat“, moniert der Pädiater. Auch sieht er die Gefahr, dass sich die Ärzte bei der Diagnose und Therapie zu sehr von den vorgeschlagenen Hypothesen beeinflussen lassen würden.

Digitale Assistenz für komplizierte Fälle

Prof. Schäfer hingegen ist der Überzeugung, dass eine IT-gestützte personalisierte Versorgung das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient sogar verbessern könne, da dem Patienten zum Beispiel ein längerer Leidensweg erspart werde und er sich gewiss sein könne, dass das gesamte medizinische Wissen berücksichtigt werde. „Für die Hochleis­tungsmedizin halte ich eine Computerunterstützung auf jeden Fall für sinnvoll und da wird sie ja auch schon vielerorts genutzt. Für die Diagnose eines banalen Schnupfens oder Fußpilzes ist es natürlich nicht erforderlich. Daher läuft die Entwicklung zunächst im Hightechbereich der Medizin an.“

Dennoch kann Prof. Schäfer sich vorstellen, dass  digitale Assistenzsysteme langfristig auch im ambulanten Bereich bei komplizierten Krankheitsfällen eine zielgerichtete Zuweisung erleichtern können. An einer elektronischen Unterstützung bei der Diagnose und Behandlung bestimmter Krankheitsbilder gehe auch schon deshalb kein Weg vorbei, da die Halbwertszeit des medizinischen Know-how immer kürzer werde.

„Das medizinische Wissen wird sich Schätzungen zufolge im Jahr 2020 ungefähr alle drei Monate verdoppeln. Ohne Computerunterstützung wird das nicht umfassend zu nutzen sein“, so der Internist. Das Marburger Pilotprojekt, das im April an den Start gegangen ist, soll insgesamt 14 Monate dauern. Sollte die wissenschaftliche Evaluation einen erkennbaren Nutzen ergeben, soll das System innerhalb der Rhön Klinikum AG auch in anderen Kliniken des Konzerns eingesetzt werden.

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