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"Praxis ohne Grenzen": Ärzte behandeln anonym und kostenfrei

Gesundheitspolitik Autor: Antje Thiel

A.Thiel A.Thiel
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In der "Praxis ohne Grenzen" in Hamburg erhalten Menschen ohne Krankenversicherung kostenlos und anonym medizinische Hilfe.

In Deutschland leben schätzungsweise bis zu 600 000 Menschen ohne Krankenversicherungsschutz. Ein großer Teil von ihnen sind Armuts- und Bürgerkriegsflüchtlinge, abgelehnte und untergetauchte Asylbewerber, Staatenlose, osteuropäische Wanderarbeiter sowie mehr oder minder freiwillig arbeitende ausländische Prostituierte.

Wenn sie krank werden, stehen sie vor einem großen Problem: Denn mit dem Gang zum Arzt oder ins Krankenhaus müssen sie ihre Anonymität verlassen und riskieren ausländerrechtliche Konsequenzen bis hin zu Abschiebehaft und Ausweisung (siehe Tabelle: Ohne Krankenversicherung beim Arzt).

In der Hamburger "Praxis ohne Grenzen" spielen der Aufenthalts- und der Versicherungsstatus hingegen keine Rolle. Jeden Mittwochnachmittag (15 bis 18 Uhr) werden Professor Dr. Peter Ostendorf und Kollegen anonym und kostenlos all jene Menschen behandeln, die sich ansonsten kaum zum Arzt trauen würden.

Ehemaliger Chefarzt möchte "etwas zurückgeben"

Die Einrichtung und die laufenden Kosten der "Praxis ohne Grenzen" werden über Spenden an den gleichnamigen Verein finanziert. Insgesamt werden 30 ehrenamtliche Helfer in der Praxis arbeiten, die in den Räumen eines Pflegeheims ihr Quartier bezogen hat: Unter den Ärzten sind vier Internisten, zwei Gynäkologen und ein HNO-Arzt, die von Krankenschwestern und Dolmetscherinnen unterstützt werden.

Der 75-jährige Prof. Ostendorf war 20 Jahre lang Chefarzt der Inneren Medizin am Hamburger Marienkrankenhaus, auch die meisten seiner ärztlichen Mitstreiter sind bereits im Ruhestand.

"Durch meinen beruflichen Werdegang habe ich viel bekommen. Nun möchte ich etwas zurückgeben", sagte Prof. Ostendorf bei der Praxiseröffnung an der auch Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storks (SPD) teilnahm. Sie lobte das Engagement als wichtige Ergänzung zu bisherigen Versorgungsangeboten: "Das ist ein tolles Angebot für Menschen ohne Papiere, die zum Beispiel keinen Asylantrag gestellt haben und deshalb keinen Krankenversicherungsschutz haben."

 

Die medizinische Versorgung dieser Menschen sei natürlich grundsätzlich eine gesellschaftliche Aufgabe, für die auf lange Sicht eine europäische Lösung gefunden werden müsse, so die Senatorin.

"Doch das ist ein mühsamer Prozess und bislang eine Zukunftsvision. Daher sind wir froh über die ehrenamtliche Arbeit engagierter Bürger, die die Arbeit der Clearingstelle und des Notfallfonds der Sozialbehörde ergänzen.", räumt Prüfer-Storks ein.

Zusammenarbeit mit weiteren Anlaufstellen

Die Clearingstelle wurde 2012 auf  Initiative der Hamburger Ärztekammer hin eingerichtet. Sie will möglichst viele Menschen ohne Papiere aus der Illegalität herausholen und in die Regelversorgungssysteme integrieren. Hier werden Flüchtlinge vertraulich beraten, ihre Daten werden nicht an die Ausländerbehörde weitergegeben.

Geklärt wird u.a., ob der Betroffene Zugang zum Krankenversicherungssystem in seinem Heimatland hat oder ob Anspruch auf Leistungen nach SGB II, SGB XII oder AsylbLG besteht. Andernfalls trägt unter Umständen ein Notfallfonds der Bürgerschaft die Kosten für die ärztliche Behandlung.

Daneben sind in Hamburg nicht staatliche Initiativen wie das Medibüro  oder die Malteser Migranten Medizin Anlaufstellen für Menschen ohne Papiere. Mit diesen Einrichtungen will Prof. Ostendorf eng zusammenarbeiten: "Da gibt es zum Glück kein Konkurrenzdenken."

Die Gynäkologin Dr. Christine Schulz-Züllich, die in Eimsbüttel niedergelassen ist und ebenfalls in der "Praxis ohne Grenzen" arbeitet, hat über das Medibüro bereits häufig Migrantinnen ohne Papiere behandelt – auch wenn sie keinen Krankenschein hatten. "Zum Glück arbeiten wir mit Laboren zusammen, die bestimmte Leistungen auch kostenlos für uns erbringen, denn gerade in der Schwangerschaft kann man ja auf etliche Laboruntersuchungen nur schwer verzichten."

Besonders wichtig ist in ihren Augen, dass auch Dolmetscher eingebunden sind: "Wenn Menschen, die kein Deutsch verstehen, zum Arzt gehen, bringen sie normalerweise ihre Kinder als Dolmetscher mit. Doch gerade beim Gynäkologen ist das nicht ideal, denn wie soll ich einen achtjährigen Jungen fragen, wann seine Mutter ihre letzte Regelblutung hatte? Von heikleren Themen einmal ganz abgesehen."

Niedrigere Hemmschwelle für einen Arztbesuch

Eine dieser Dolmetscherinnen ist Gabriela Nichiteanu. Sie arbeitet im Hauptberuf als Dolmetscherin im Centrum für AIDS und sexuell übertragbare Krankheiten (Casa Blanca) in Altona. "Viele der Frauen, die wir im Casa Blanca beraten, brauchen auch gynäkologische Betreuung. Künftig kann ich sie auf die "Praxis ohne Grenzen" aufmerksam machen und ihnen empfehlen, hier in die Sprechstunde zu kommen."

Dass sie dort weder ihren korrekten Namen noch ihren Wohnort nennen müssen, dürfte speziell bei diesen Frauen die Hemmschwelle senken, einen Arzt aufzusuchen. "Viele der Frauen in unserer Beratungsstelle sind Sexarbeiterinnen, Anonymität ist für sie besonders wichtig", sagt Nichiteanu. 

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