Anzeige

"Bösartige Praxis": Honorarrückforderungen wegen gemeinsamer Patienten

Gesundheitspolitik Autor: Ruth Bahners

Kollegen wehren sich über die Initiative „Pro Arzt“ gegen Verwaltungspraxis der Plausibilitätsprüfung. Kollegen wehren sich über die Initiative „Pro Arzt“ gegen Verwaltungspraxis der Plausibilitätsprüfung. © iStock/AtnoYdur
Anzeige

Die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe sucht nach Wegen, um die heftig kritisierten Plausibilitätsprüfungen bei Praxisgemeinschaften verträglicher zu gestalten. Ganz darauf verzichten will und kann sie nicht.

Seit 2012 prüft die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) in Form einer Stichprobe Praxisgemeinschaften auf einen unzulässig hohen Anteil von gemeinsam behandelten Patienten. Das verursachte zum Teil Honorarrückforderungen in sechsstelliger Höhe. Betroffene Ärzte haben sich in der Initiative „Pro Arzt“ zusammengeschlossen. Sie werfen der KVWL eine „hochgradig ignorante, zum Teil auch vorsätzlich bösartige Verwaltungspraxis, die auch vor Rechtsbeugung nicht zurückschreckt“ vor.

Diese Vorwürfe weist der KV-Vorsitzende Dr. Wolfgang-Axel Dryden entschieden zurück. Bei der jüngsten Sitzung der Vertreterversammlung in Dortmund stellte er klar: „Die KVWL handelt entsprechend der Gesetzeslage, der Richtlinien, der Rechtsprechung und der Vorgaben, die die Revision durch das Aufsichtsministerium macht.“

Auch die Aufgreifkriterien seien vorgegeben: 20 % Patientenidentitäten bei fachgleich kooperierenden Praxen und 30 % bei fachübergreifenden Kooperationen. In diesen Fällen suche die KV nach entlastenden Sachverhalten wie zum Beispiel echte Vertretungen oder Notfallbehandlungen. Obwohl dazu nicht verpflichtet, versuche die KV auch bei 50 % oder mehr Patientenidentitäten entlastende Gründe zu finden, berichtete Dr. Dryden.

Niemand hat die Absicht, „Praxen zu zerstören“

Lediglich die Art der Prüfung sei den KVen freigestellt. Da der KV-Vorstand die Kollegen nicht „unter Generalverdacht“ stellen wollte, habe er sich für Stichproben-Prüfungen entschlossen. Von dieser 2-%-Prüfung seien alle Praxen erst nach 50 Quartalen erfasst, rechnete Dr. Dryden vor. Das entlaste viele Kollegen. Die Auffälligen würden durch den langen Zeitraum aber „stark belastet“, gestand Dr. Dryden zu. Da es nicht die Absicht der KV sei, „Praxen zu zerstören“, werde versucht, die Schadensregulierung so zu strecken, dass die Belastungen tragbar seien. In jedem zweiten Fall hätte das Verfahren einvernehmlich abgeschlossen werden können.

Oft sind Einsteigerpraxen mit geringen Fallzahlen betroffen

Dr. Dryden musste auch zugestehen, dass kleinere Praxen gegenüber größeren Praxen in einer Praxisgemeinschaft benachteiligt sind, da sie schneller eines der Aufgreifkriterien erreichen als der größere Partner. Davon seien häufig Einsteigerpraxen betroffen, wenn zum Beispiel die neu niedergelassene Kollegin nur vormittags Sprechstunden anbieten würde.

Die Konstellation Einsteigerpraxis mit geringen Fallzahlen und etablierte Praxis mit hoher Scheinzahl mache dem Vorstand „erhebliche Bauchschmerzen“. Dr. Dryden appellierte an seine Kollegen, die neuen Ärzte davor zu warnen, sich auf solche Konstellationen einzulassen.

Plausiprüfung der KVWL

Die KVWL hat bisher 298 Praxisgemeinschaften im Rahmen ihrer Plausibilitätsprüfungen auf Patientenidentitäten geprüft. 936 Praxen waren davon betroffen. Jedes vierte Verfahren wurde eingestellt. 158 Verfahren sind inzwischen beendet und das überzahlte Honorar zurückgezahlt. Dabei addierten sich die Rückforderungen seit 2012 auf 32,28 Millionen Euro.

Die Prüfung aller kooperierenden Praxen statt nur einer Stichproben-Prüfung wurde auf Nachfrage von Dr. Dryden von der Vertreterversammlung favorisiert. Das hätte den Vorteil, dass Abrechnungsfehler zeitnah entdeckt würden und damit die Schadenssummen geringer ausfielen. Auch eine „Verhaltensänderung“ sei ein möglicher Effekt. Der Aufwand, der mit einer Komplettprüfung verbunden sei, sei allerdings erheblich, meinte der KV-Chef. Da der KV längst nicht alle Praxis­gemeinschaften gemeldet würden, obwohl die Zulassungsverordnung dies vorsehe, müsste nach adressgleichen oder in räumlicher Nähe befindlichen Praxen gesucht werden. Ortsübergreifende Konstellationen, die nicht gemeldet seien, aber trotzdem falsch abrechnen würden, würden durch das Ras­ter fallen. Für diese Fälle seien Stichproben weiterhin erforderlich.

Gemeinschaftspraxis bietet Ausweg aus der Plausi-Falle

Ärztevertreter schlagen Frühwarnsystem vor Ein „Frühwarnsystem“, wie es einige Ärzte auch in der VV fordern, hält Dr. Dryden nicht für praktikabel. Sobald ein Arzt eine Abrechnung bei der KV eingereicht habe, müsse die KV im Fall von Implausibilitäten prüfen. Lediglich über Testabrechnungen könnte die KV schauen, ob das Abrechnungsverhalten rechtskonform sei, „allerdings nur unter Vorbehalt“, so Dr. Dryden gegenüber Medical Tribune. Er warnte auch vor falschen Ratschlägen von Beratern, die weiterhin Einsteigern die Praxisgemeinschaft empfehlen würden. Der Rat des KV-Chefs: „Wenn Ihr Euch Freiräume schaffen wollt, gründet eine Gemeinschaftspraxis.“ Damit sei man aus dieser Plausibilitätsfalle raus.
Anzeige