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Regina Feldmann: „Selbstverwaltung stößt an ihre Grenze“

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

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Länger als zehn Jahre vertrat Regina Feldmann im Vorstand der KV Thüringen die Interessen ihrer Kollegen. Seit diesem Jahr gehört die Fachärztin für Allgemeinmedizin dem Vorstand der KBV an. MT-Mitarbeiterin Cornelia Kolbeck sprach mit ihr über die derzeit umkämpfte Vergütung und die künftige Besetzung von Arztsitzen – zwei Bedingungen für eine gute Versorgung.

Voraussichtlich am 4. Oktober werden KBV und GKV-Spitzenverband erneut übers Honorar 2013 verhandeln. Wird die KBV den Kassen entgegenkommen?

Regina Feldmann: Nein. Wir wollen eine Anhebung des aktuellen Orientierungswertes um 1,8 % als Ausgleich für Kostensteigerungen durch die Inflation von 2008 bis 2012. Der Erweiterte Bewertungsausschuss hat nur eine Steigerung um 0,9 % festgelegt.

Die Kassen erklären, dass noch Gelder über regionale Verhandlungen zur Leistungsmenge hinzukommen können ...


Feldmann: Ein solches Denken ist falsch. Der Gesetzgeber hat Preis und Menge strikt getrennt. Es darf keine Verknüpfung zwischen Kostensteigerung und Versorgung geben. Einzige Öffnungsklausel im § 87 SGB V ist, dass über regionale Verhandlungen Budgets für besonders förderungswürdige Leistungen oder Versorgungsstrukturen vereinbart werden können. Ansonsten muss der Bewertungsausschuss die Morbiditätsrate nach den Regeln festlegen, die der Gesetzgeber vorschreibt.


Wenn sich bis Ende 2012 Kassen und Ärzteschaft nicht einigen können, was passiert dann?


Feldmann: Dann bleibt erst einmal alles, wie es jetzt ist. Der Beschluss des Erweiterten Bewertungsausschusses tritt zwar in Kraft, allerdings mit aufschiebender Wirkung, denn wir haben ja gegen den Beschluss bereits Klage eingereicht. Gleiches würde übrigens auch gelten, wenn wir gegen die Steigerung der Morbi-Rate klagen würden.

Die Kassen ziehen über Ärzte her, Praxisinhaber rüsten zum Protest. Für die KBV-Spitze ist die Selbstverwaltung in einer Krise. Was ist das Problem?


Feldmann: Ja, wir hinterfragen die gemeinsame Selbstverwaltung, da der GKV-Spitzenverband sich verweigert, Kostensteigerungen – wie vom Gesetzgeber vorgegeben – auszugleichen, um die Versorgung zu sichern. Aber es geht nicht nur ums Honorar der Ärzte. Es gibt auch Probleme in anderen Bereichen, zum Beispiel bei der Heilmittelversorgung. Hier klaffen regional die vereinbarten und tatsächlichen Ausgaben 20 bis 30 % auseinander; Ärzten droht beim Überschreiten der Richtgrößen der Regress. Die GKV hat zwar das Geld in der Tasche, sie will es aber nicht ausgeben. Sie weist aus unserer Sicht die Verantwortung für die Versorgung ihrer Versicherten von sich.

Was folgt daraus?


Feldmann: Der Gesetzgeber hat zur Umsetzung der Daseinsfürsorge die Selbstverwaltung geschaffen. Nun ist sie an ihre Grenzen gestoßen. Man kann doch nicht einem Partner das ganze Geld der Versicherten geben und der andere muss darum betteln, um die Versorgung sichern zu können. Die Politik muss das System der Selbstverwaltung hinterfragen.

Auch über die Richtlinie zur Bedarfsplanung konnten sich Kassen und Ärzte bisher nicht einigen. Der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses, Josef Hecken, spricht von einem Entscheidungsdefizit. Zeigt sich hier ebenfalls das Selbstverwaltungsproblem?


Feldmann: Die Krankenkassen zeigen hier die gleiche Haltung wie bei den Honoraren: absolute Blockade. Wir haben Vorschläge zur Bedarfsplanung eingereicht, ebenso die Patientenvertreter. Von den Kassen kam dagegen nichts Konstruktives.Die Krankenkassen scheinen verhindern zu wollen, dass neue Arztsitze ausgeschrieben werden. Dabei haben wir ein Demografieproblem und es ist klar, dass ältere Menschen mehr Versorgung brauchen und mehr Mediziner. Da kann man doch nicht blockieren, sondern muss mitziehen.


Ist es nicht möglich, sich zumindest in der Mitte der Forderung nach neuen Arztsitzen zu treffen?


Feldmann: Entweder wir wollen Versorgung sichern oder eine Mogelpackung beschließen. Wir können doch heute gut definieren, wie Bedarf zu berechnen ist. Über die Planungsbereiche haben wir uns schon weitestgehend geeinigt – kleinräumig für Hausärzte, großräumig für Spezialisten. Eine Einigung zu den Verhältniszahlen, das heißt, wie viele Einwohner je Arzt oder Psychotherapeut für die Planungsgruppen künftig zu berücksichtigen sind, steht allerdings noch aus.

Bis Ende des Jahres soll die Bedarfsplanungsrichtlinie fertig sein. Ist das zu schaffen?


Feldmann: Ich bin zuversichtlich. Der Demografiefaktor, der den höheren Versorgungsbedarf von älteren Patienten berücksichtigt, wird auf Vorschlag des G-BA-Vorsitzenden ab 2013 außer Kraft gesetzt. Das soll etwas Drive in unsere Verhandlungen bringen. Ein Konsens zur Bedarfsplanung ist schließlich auch besser, denn ohne diesen wird der Gesetzgeber entscheiden.

Was ist nach Ihren Erfahrungen als KV-Vorsitzende in Thüringen zudem vonnöten, um Hausärztenachwuchs aufs Land zu locken?


Feldmann: Um junge Kollegen aufs Land zu bringen, müssen wir auch deren Partnern Arbeit bieten können. Und die Infrastruktur mit Schulen und Kindergärten muss gut sein. Das kann eine KV allein nicht leisten. Überlegungen aus Thüringen zeigen aber, dass auch die Versorgung von einer zentralen Einrichtung aus möglich ist. Dabei steht Fachärzten eine aus dem Strukturfonds finanzierte, komplett eingerichtete Arztpraxis inklusive Helferinnen zur Verfügung. Urologe, Augenarzt, Orthopäde und Gynäkologe können je nach Patientenbedarf ein oder zwei Mal in der Woche dieses sogenannte Mittelzentrum nutzen. Ansonsten haben die Ärzte ihre Praxis vielleicht in der Kreisstadt. Umgesetzt ist die Idee in Thüringen noch nicht, aber es gibt bereits Pläne für zwei Standorte.

Nicht alle Senioren auf dem Land sind in der Lage, solch eine Praxis aufzusuchen.


Feldmann: Auch deshalb brauchen wir die Kooperation mit Kommunen und Dienstleistern. Es müssen zum Beispiel Hol- und Bringdienste eingerichtet werden. Kürzlich wurde ein Bürgermeister, der solch einen Fahrdienst organisiert hatte, von der Gemeindeaufsicht mit dem Hinweis abgestraft, dies sei eine Aufgabe des öffentlichen Nahverkehrs. Möglicherweise müssen hier die Rahmenbedingungen angepasst werden. Eine wichtige Rolle spielen zudem die Medizinischen Fachangestellten. Diese qualifizierten Praxismitarbeiterinnen betreuen immobile Patienten zu Hause – ebenso wie natürlich weiterhin auch der Arzt selbst.

Die Kommunen sind sich ihrer Verantwortung bewusst?


Feldmann: Da bin ich mir sicher. In Thüringen gibt es Gemeinden, die Ärztehäuser und fertig renovierte Praxen für interessierte Mediziner vorhalten. Bürgermeister haben der Niederlassungsabteilung der KV Exposés geschickt und um die Vermittlung von Ärzten gebeten. So konnten in Gotha drei junge Ärzte für die Niederlassung gewonnen werden.

Laut KBV-Statistik ist die Zahl der Gebietsanerkennungen bei Allgemeinärzten rückläufig. Muss dem Problem des Hausärztemangels nicht schon in der Medizinerausbildung stärker begegnet werden?


Feldmann: 2009 beendeten nur noch 1168 Allgemeinmediziner die Facharztausbildung – so wenig wie nie zuvor. 1995 waren es fast 5000. In anderen Facharztgruppen sind die Zahlen seit 1995 teils erheblich gestiegen. Man muss frühzeitig beginnen, Ärzte für die Allgemeinmedizin zu gewinnen. Wir sollten hinterfragen, wer einen Studienplatz bekommt und warum die Allgemeinmedizin erst im fünften Semester auf dem Lehrplan steht. Ich will an der Situation unbedingt etwas ändern. Das geht am besten in der Hauptstadt, deshalb bin ich nach Berlin gekommen.

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