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Regressforderung zerbröckelt vorm Sozialgericht

Gesundheitspolitik Autor: Michael Reischmann

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Ohne anwaltliche Hilfe ist es einem Hausarzt vor dem Sozialgericht gelungen, die Vorwürfe der Prüfgremien wegen vermeintlich unwirtschaftlicher Akupunktursitzungen weitgehend aus dem Feld zu schlagen.

Der Wiesbadener Hausarzt Dr. Dieter Wettig liegt mit seinem Praxisschwerpunkt Akupunktur regelmäßig mehr als 1000 % über dem Fachgruppendurchschnitt. Das brachte die Prüfstelle von KV und Kassen sowie den Beschwerdeausschuss dazu, den Arzt wegen Unwirtschaftlichkeit in Regress nehmen zu wollen. Die Prüfstelle setzte für die Quartale III/07 bis II/08 rund 3250 Euro als Kürzungsbetrag fest. Der Beschwerdeausschuss bestätigte die Summe, wobei der von ihr beauftragte Prüfarzt bei einer „eingeschränkten Einzelfallprüfung“ sogar einen Schaden von rund 9500 Euro zu erkennen glaubte.

Regress wegen Unwirtschaftlichkeit bedrohte Existenz des Hausarztes

Dr. Wettig machte sich existenzielle Sorgen. Denn sollten die Vorwürfe Bestand haben, könnten auch die folgenden Quartale entsprechend beanstandet werden. Also wehrte er sich (MT berichtete: "Zu viel akupunktiert? Es droht Regress!"). Ohne juristische Unterstützung, aber mit intensiver Recherche und detailreicher Argumentation zog der Arzt vors Sozialgericht Marburg.

Obwohl der Beschwerdeausschuss in seiner Klageerwiderung seine Vorwürfe bekräftigte, die Dokumentationspflichten des Arztes betonte und darauf verwies, dass es die Pflicht des Klägers sei, einen kausalen Zusammenhang zwischen (kompensatorischen) Einsparungen und (Akupunktur-)Mehrbedarf nachzuweisen, war die Angelegenheit vor Gericht nach eineinhalb Stunden erledigt. Nur bei drei von einem Dutzend Einzelbeanstandungen für das dritte Quartal 2007 folgte das Gericht den Ausführungen des Ausschusses und hielt dessen Kürzungsforderung für ausreichend begründet. Hier fehlten auf den Abrechnungsscheinen die Begründung bei mehr als zehn Akupunktursitzungen bzw. in einem Fall die Dia­gnose. In den anderen Fällen hielt die Kammer die Angaben des Arztes bei der Abrechnung für ausreichend.

Vergleich statt Regress - damit kann der Hausarzt leben

Und so kam es zum Vergleich: Die Honorarkürzung wurde auf 1000 Euro beschränkt, der Beschwerdeausschuss hat drei Viertel der Gerichtskosten zu tragen, der Rechtsstreit ist für alle Beteiligten erledigt. Akten von den Prüfgremien kopieren und zusenden lassen Dr. Wettig kann mit diesem Ergebnis gut leben. Zudem hat er aus dem nervenaufreibenden wie arbeitsintensiven Vorgang mehrere Lehren gezogen:

  • Man darf sich nicht nur auf die sachlich-rechnerische Prüfung der Abrechnung durch die KV verlassen. „Eigentlich sollte diese auf vergessene Begründungen und vergessene Diagnosen hinweisen“, so Dr. Wettig. „Das tut sie aber nicht immer und tat sie schon gar nicht 2007, als die EBM-Leistung Akupunktur neu aufgenommen worden war.“

  • Kommt es in einem Quartal zu elf Akupunktursitzungen, ist schon in diesem Quartal das Überschreiten von zehn Sitzungen zu begründen. Dito im nächsten Quartal, wenn dann weitere Sitzungen folgen.

  • Ein Fachanwalt für Sozialrecht kann hilfreich sein. Der Hausarzt glaubt aber, dass er ohne anwaltliche Vertretung besser gefahren ist. Kann ein (Korrespondenz-)Anwalt auf jede Frage der SG-Kammer oder jeden Einwurf des Beschwerdeausschusses schlagfertig reagieren? Dr. Wettig hält das für unwahrscheinlich. „Tatsächlich kam es in der Verhandlung sehr auf den Sachverhalt im Detail an und den hatte ich zu jedem Patienten im Kopf.“

  • Dr. Wettigs Tipp: Von der Prüfungsstelle die komplette Akte kopieren und zusenden lassen, ehe man den Widerspruch gegen ihren Bescheid begründet. „Sie werden staunen, was alles in der Akte steht.“ Dito Kopien vom Beschwerdeausschuss zusenden lassen, bevor man die Klage gegen ihn begründet. „Machen Sie von Ihrem Recht Gebrauch, selbst Beweisanträge bei der Prüfstelle oder dem Beschwerdeausschuss zu stellen“, rät der Arzt Kollegen. Und: Fristverlängerungen beantragen, wenn mehr Zeit gebraucht wird!

  • Wichtig ist es, beim Gerichtstermin immer sachlich und freundlich zu bleiben“, betont Dr. Wettig. „Richter und Beschwerdeausschuss-Vertreter haben sich meist schon mehr als einmal gesehen – man kennt sich. Ärzte, die Grundsatzdebatten anfangen wollen oder gar persönlich werden, haben schlechte Karten.“
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