Anzeige

Reißt Euch doch am Riemen, ihr Memmen!

Autor: Erich Kögler

© fotolia/Kitty/MT
Anzeige

In seiner meinungsstarken Kolumne "Mit spitzer Feder" geht Erich Kögler regelmäßig mit allerlei Auswüchsen und Absonderlichkeiten der Medizinwelt hart ins Gericht. In seiner aktuellen Kolumne widmet er sich dem Thema Stress.

Der Brechreiz kommt mit der Lektüre. Einer aktuellen Studie zufolge jammert mehr als die Hälfte der deutschen Studenten über zu viel Stress an der Uni! Nicht zu fassen – ist aus dem Volk der Dichter und Denker ein Volk von Weicheiern geworden? Unter diesen Vorzeichen ist es kein Wunder, dass der akademische Nachwuchs, sofern er den Berufsalltag überhaupt erreicht, beim ersten Gegenwind in die Knie geht.

Der inflationäre Umgang mit dem Begriff "Stress" ist für mich längst unerträglich geworden. Jetzt konstatiert eine aktuelle Umfrage der Techniker-Krankenkasse gar, dass über sechzig Prozent der Erwachsenen in Deutschland das Gefühl haben, ständig "im Stress" zu sein. Ernsthafte Überforderung mit psychischen Konsequenzen oder nur eine Modekrankheit, die man heutzutage einfach haben muss, um interessant für sein Umfeld zu bleiben? Schließlich lässt sich mit dem ständigen Wehklagen über zu hohe Belastung ja die eigene Wichtigkeit vortrefflich betonen.

"Merkwürdig, dass man Stress als Begriff in Krisengebieten kaum kennt"

Merkwürdig, dass Stress-Diagnosen nur in den satten Industrie­nationen gestellt werden, man den Begriff Stress (oder gar Burnout) in den Krisengebieten dieser Welt mit ihren wahrhaftigen Herausforderungen jedoch kaum kennt. Auch unsere Nachkriegsgeneration packte lieber tatkräftig beim Wiederaufbau an, statt sich im Dauer-Lamento zu profilieren. Irgendwas also läuft hier gewaltig schief. Liegt es vielleicht daran, dass überbesorgte Helikopter-Eltern ihren vermeintlich hochbegabten Nachwuchs zu sehr in Watte packen?

Alle sind im Stress! Vorwiegend wird darunter in den Büroberufen gelitten. Jener Straßenbauer, der heute Vormittag auf der Autobahn heißen Asphalt auf die Fahrbahn kippte, während der Verkehr nur einen Meter an ihm vorbeirauschte, machte auf mich hingegen einen relativ gelassenen Eindruck. An ihm sollte sich so mancher Jammerlappen ein Beispiel nehmen, denn sonst werden die psychiatrischen Praxen hierzulande bald endgültig aus allen Nähten platzen. Schon heute ist dort kaum ein Termin zu bekommen. Wahrscheinlich sind die Wartezimmer voll mit leidenden Stressgeplagten.

"Mensch, reißt euch doch am Riemen, ihr Memmen!"

Die in den 1950er- und 1960er-Jahren aufgetauchte "Managerkrankheit" verschwand einst von selbst wieder von der Bildfläche. Mir fehlt die Hoffnung, dass das in absehbarer Zeit auch mit dem viel beklagten Stress geschehen könnte. Also bleibt wohl nur der Zuruf: Mensch, reißt Euch doch am Riemen, ihr Memmen!

Anzeige