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Saubere Diagnosen: Experten raten zu Vergütungsumstellung und ambulanten Kodierrichtlinien

Gesundheitspolitik Autor: Michael Reischmann

Der Gesetzgeber hat inzwischen mit dem Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz geregelt, dass es unzulässig ist, Vertragsärzten allein für die Vergabe und Dokumentation von Diagnosen eine zusätzliche Vergütung zu zahlen. Der Gesetzgeber hat inzwischen mit dem Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz geregelt, dass es unzulässig ist, Vertragsärzten allein für die Vergabe und Dokumentation von Diagnosen eine zusätzliche Vergütung zu zahlen. © iStock/South_agency
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Um Manipulationen beim GKV-Finanzausgleich zu vermeiden, schlagen Wissenschaftler dem Bundesgesundheitsminister vor, das Honorar in Selektivverträgen von den dokumentierten Diagnosen zu entkoppeln. Es sollte nur die Mehrleistung (im Vergleich zur Regelversorgung) bezahlt werden.

In einem vom BMG beauftragten Sondergutachten zum morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich geht der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesversicherungsamt u.a. darauf ein, wie durch Selektivverträge Einfluss auf die Diagnosekodierung genommen wurde, um die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds zu beeinflussen.

Der Gesetzgeber hat inzwischen mit dem Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz geregelt, dass es unzulässig ist, Vertragsärzten allein für die Vergabe und Dokumentation von Diagnosen eine zusätzliche Vergütung zu zahlen. Der von dem Ökonomen Professor Dr. Jürgen Wasem angeführte Beirat appelliert nun an die Aufsichtsbehörden von Bund und Ländern, die Neuregelungen einheitlich umzusetzen. Er geht davon aus, dass „die geschärften Prüf- und Sanktionierungsinstrumente des § 273 SGB V bei den anstehenden Prüfungen der Berichtsjahre 2013 bis 2015 zu spürbaren Korrektur- und Strafbeträgen gegen einzelne Krankenkassen führen werden“.

Auffällige Zunahmen bei RSA-relevanten Diagnosen

Laut Gutachten fallen die Häufigkeiten aller gesicherten ambulanten Diagnosen je 100 000 Versicherte zwischen den Kassenarten sehr unterschiedlich aus; „mit Abstand am höchsten“ sind sie bei der Bundesknappschaft, gefolgt von den AOKen. Bei einigen Diagnosen gab es auffällige Anstiege der Nennungen ab dem Zeitpunkt, ab dem die jeweilige Diagnose RSA-relevant wurde.

Zur Stärkung der Manipulationsresistenz des Morbi-RSA schlagen die Wissenschafter vor, die Vergütung für Selektivverträge ausschließlich auf die vertraglich dokumentierte Mehrleistung zu beschränken.

Außerdem spricht er sich für die Einführung ambulanter Kodierrichtlinien aus. Die KBV müsse bei der Zertifizierung der Praxissoftware künftig sicherstellen, dass innerhalb einer Software ausschließlich Prüfroutinen bezüglich der ambulanten Kodierrichtlinien implementiert werden. Eine Integration krankenkassenindividueller Module zur Dia­gnosestellung habe zu unterbleiben.

Auf die ambulanten Diagnosen im Morbi-RSA künftig zu verzichten, hält der Beirat dagegen für keine gute Idee. Dies würde zu einem merklichen Anstieg der Überdeckungen (Zuweisungen minus Leis­tungsausgaben einer Kasse) bei gesunden Versicherten führen. Das sei mit dem Ziel des RSA, eine Risiko­selektion zu vermeiden, unvereinbar.

Den Gutachtern fällt auf, dass Kassen mit Mitgliederzulauf in den meisten Jahren Überdeckungen aufweisen, während schrumpfende Kassen eher mit Unterdeckung zu kämpfen haben. Offenbar wechseln bevorzugt gesunde Versicherte ihre Kasse, sodass eine „sich selbst verstärkende Risikoentmischung“ eintreten kann. Die These, dass sich aufgrund der Morbiditätsorientierung im RSA „Kranke lohnen“, sehen Prof. Wasem & Co. nicht bestätigt.

Seit der Einführung von Gesundheitsfonds und Morbi-RSA im Jahr 2009 hat bei den AOKen (im Durchschnitt) sowie der Bundesknappschaft die relative Krankheitslast abgenommen. Sinkenden Zuweisungen pro Kopf stehen noch stärker gesunkene Leistungsausgaben gegenüber. Demgegenüber hat sich die Risikostruktur bei BKKen, IKKen und Ersatzkassen (im Durchschnitt) relativ verschlechtert. Ihre Zuweisungen sind weniger stark als die Leistungsausgaben gestiegen.

GKV-Spitzenverband soll bei Kassenpleite einspringen

Der Beirat stellt fest, dass es seit 2009 in nahezu allen Bundesländern zur Marktkonzentration kam. „In Sachsen und Thüringen ist der Krankenkassenmarkt schon jetzt als hochkonzentriert zu bezeichnen.“ Zugleich hätten die Beitragssatzspannen – ein wesentliches Element des Wettbewerbs – deutlich abgenommen.

Das bisherige System der Haftungskaskade, bei dem im Fall der Insolvenz oder Schließung einer Krankenkasse zunächst die Schwes­tern der gleichen Kassenart haften, halten die Wissenschaftler für nicht mehr sachgerecht. Sie regen an, die Primärhaftung auf den GKV-Spitzenverband zu übertragen.

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