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Schweigepflicht – es gilt der Eid des Hippokrates!

Autor: Dr. Robert Oberpeilsteiner

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Unser Kolumnist über die Schweigepflicht: wann ist sie Pflicht, wann muss man sie gar brechen?

"Du mein stilles Tal" heißt ein deutscher Spielfilm aus dem Jahr 1955. Es geht dabei um eine Hochzeit, eine ungewollte Schwangerschaft, und – damit auch die Kirche ins Boot kommt – um das Beichtgeheimnis. Alles was in diesen Nachkriegsjahren eben an Dramatik und Seelenschmalz aufzubieten war. Curd Jürgens spielte die Rolle eines gehörnten Liebhabers, was man sich gar nicht vorstellen mag. Und es handelte, in dramatischen Szenen, von der ärztlichen Schweigepflicht. Denn die hat die Menschen immer schon beschäftigt.

Und jetzt, nach dem Absturz der Germanwings-Maschine, ist sie wieder einmal in aller Munde. Zusätzlich werden Rufe nach ihrer Lockerung laut. Ganz von vorne. Für uns Nichtjuristen. Man sollte sich vielleicht daran erinnern, worum es bei der Schweigepflicht geht. Es geht schlicht und einfach darum, ein ärztliches Gespräch überhaupt erst zu ermöglichen. Denn ein ärztliches Gespräch ist nun mal kein Verhör, es ist kein protokollarischer Akt mit Dokumentationspflicht, es ist ergebnisoffen und aufgrund der Privatheit überhaupt nur möglich, wenn Vertraulichkeit gewährleistet ist.

Die Schweigepflicht ermöglicht ein ärztliches Gespräch erst

Einerseits gehört die Schweigepflicht laut Aussage der Bundesärztekammer zum Kernbereich der Arztethik. Andererseits gab es immer schon Ausnahmen. Denken wir nur an die Meldepflicht von bestimmten Infektionskrankheiten. Auch der Paragraph 34 Strafgesetzbuch, der uns verpflichtet, zu handeln, wenn Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegt, zählt dazu. Das ist Alltag. Dazu brauchen wir nicht mit dem Gesetzbuch unter dem Arm durch die Praxis zu laufen. Was uns in der aktuellen Debatte auch nicht viel helfen würde.

Denn, wenn man die Diskussionen verfolgt, so wirkt das oft sehr verwirrend. So legten sich Medizinrechtler dar­­auf fest, dass man sich in der Frage der Schweigepflicht nicht festlegen könne. Es sei unter anderem umstritten, wo das Recht, die Schweigepflicht brechen zu dürfen, in die Pflicht, es tun zu müssen, umschlage. Solcherlei juristische Spitzfindigkeiten bringen uns in der Praxis nicht weiter.

Der Arzt hat Sorgfaltspflicht für die Allgemeinheit

Nachvollziehbar ist hingegen die Reaktion der Öffentlichkeit. Wenn beispielsweise ein alkoholisierter Autofahrer einen Unfall macht und er vielleicht zuvor in ärztlicher Behandlung war. Dann heißt es, das sind doch die Fachleute. Hätten die es nicht erkennen müssen? Die Sorgfaltspflicht des Arztes für die Allgemeinheit wird hinterfragt. Noch dazu, wenn der Täter möglicherweise nicht schuldfähig war, sucht man nach einem Schuldigen. Dabei sind doch Familie und Freunde häufig tiefer verstrickt in die Gefühlswelt eines Menschen als sein Arzt. Und selbst sie können nicht in einen Menschen hineinschauen.

Wenn wir über die Schweigepflicht nachdenken, sollten wir erst mal an ein ganz normales Gespräch mit einem guten Bekannten unter vier Augen denken. Beide gehen doch davon aus – ohne Schweigepflicht oder Vertrauensperson –, dass ihnen durch das Gesagte kein Schaden entsteht. Dass Vertraulichkeit gewahrt bleibt. Das ist das Normalste der Welt. In allen Kulturen. Dazu braucht es keine Vorschriften, das muss nicht im Grundgesetz verankert werden.

Dass Vertraulichkeit gewahrt bleibt ist das Normalste der Welt

In der Mehrzahl der kritischen Fälle stellt sich im Alltag die Frage für mich ohnehin anders. Nicht die Schweigepflicht zermartert mir in der Regel den Kopf, sondern die Frage: Wie kann ich ein Problem lösen? Wie gehe ich mit der jungen Polizistin um, die weit weg in der Stadt auf Streife geht, aber alle halbe Jahre wegen einem Beruhigungsmittel oder Schlafmittel nachfragt? Angeblich, weil sie jetzt gerade hier in Urlaub ist.

Wie kann ich einen Alkoholkranken zur Therapie bewegen? Ist dank meines ärztlichen Gesprächs der Psychotiker ohne Zwang bereit zur stationären Einweisung? Diese Fragen stehen am Anfang, ehe ich über juristische Finessen nachdenke. Für mich heißt dies, ich werde weiterhin meinem Gespür und meiner Erfahrung vertrauen.

Ärztlicher Austausch geht auch anonym

Wir können uns dazu mit Kollegen austauschen, wenn es zum Beispiel um wiederholten Arzneimittelmissbrauch geht. Das geht auch anonym und ohne persönliche Daten. Wir sollten uns aber auch nicht zu schade sein, wenn es um gravierende Fälle geht, professionelle Hilfe anzufordern von Juristen der KV oder der Ärztekammer. All dies dient letztlich dazu, die Schweigepflicht als hohes Gut zu schützen.

Im Eid des Hippokrates heißt es: „Was ich bei der Behandlung oder auch außerhalb meiner Praxis im Umgange mit Menschen sehe und höre, das man nicht weiterreden darf, werde ich verschweigen und als Geheimnis bewahren.“ Das sollte man so stehen lassen. Denn in den seltensten Fällen dürfte die Situation ausweglos sein. Wir brauchen uns dennoch von keiner Seite zum Komplizen machen lassen.

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