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So perfide werben Konzerne für Süßes und Junkfood bei Kindern

Gesundheitspolitik Autor: Isabel Aulehla

Kinder krank machen, damit der Umsatz stimmt? Verbände fordern Zuckersteuer und Werbeverbot. Kinder krank machen, damit der Umsatz stimmt? Verbände fordern Zuckersteuer und Werbeverbot. © G. Lombardo – stock.adobe.com
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In einer Studie wurde erstmals ermittelt, wie oft Kinder hierzulande Werbung für ungesunde Lebensmittel sehen. Verschiedene Ärzteverbände und Organisationen fordern, das Kindermarketing endlich einzuschränken.

Werbespots für Kinder werden gezielt auf das zugeschnitten, was die Kleinen begeistert: Animierte Tierfiguren schwärmen in bunten Fantasie­welten von Eis, Limo oder Pudding, zusätzlich gibt es Figuren zum Sammeln. Dass es sich um Werbung handelt, können die jungen Konsumenten oft noch nicht einschätzen. Beim nächs­ten Einkauf wird dann gequengelt, bis das entsprechende Produkt im Einkaufswagen liegt. Die gesundheitlichen Folgen der Werbestrategie zeigen sich, wenn übergewichtige Kinder in der Sprechstunde sitzen.

15 Mal am Tag mit Werbung für Junkfood konfrontiert

Der Hamburger Ökonom Dr. ­Tobias Effertz hat erstmals beziffert, wie oft Kinder hierzulande im Fernsehen oder im Internet Werbung für ungesunde Lebensmittel sehen: Mediennutzende Heranwachsende zwischen 3 und 13 Jahren rezipieren pro Tag rund 15 entsprechende Clips oder Anzeigen, 10 davon im Fernsehen, 5 im Internet. Ob ein Produkt als gesund oder ungesund gilt, entschied Dr. Effertz anhand des „Nutrient Profile Models“ der WHO. Das legt Grenzwerte für Inhaltsstoffe fest. Werden sie überschritten, sollte das Produkt nicht an Kinder vermarktet werden. Laut der Studie trifft dies auf 92 % aller Lebensmittel zu, die Kinder in Internet- oder TV-Werbung sehen.

Die Industrie gibt sich alle Mühe, die kleinen Konsumenten direkt anzusprechen. Etwa 70 % der Junkfood-Werbung, die sie im Fernsehen sehen, sind speziell auf sie zugeschnitten – etwa durch Cartoon-Figuren, Kindersprache oder den Sendeplatz. Zudem wird der Nachwuchs immer stärker mit TV-Werbung für Lebensmittel beschallt. 2007 liefen etwa 10 Spots in 152 Minuten, heute ist die gleiche Zahl in 120 Minuten erreicht. Die Industrie hat die Werbeintensität also um 29 % erhöht.

Auch das Internet spielt für das Kindermarketing eine zentrale Rolle. Auf ihren Webseiten versuchen die Konzerne, den Nachwuchs etwa mit Bastelvorlagen oder Werbespielen zu ködern. In den sozialen Medien werden Posts, die für ungesunde Produkte werben, insgesamt millionenfach wahrgenommen, bei Facebook sogar milliardenfach. Laut der Studie bedient sich McDonald’s dieser Plattform besonders stark: 62 % der an Kinder gerichteten Lebensmittel-Posts auf Face­book stammen von dem Fastfood-Konzern. Auch Kentucky Fried Chicken, Ferrero, der Schokoriegel KitKat von Nestlé und Pringles Chips stechen problematisch hervor.

Eine besonders perfide Form, Kinder über die sozialen Netzwerke anzusprechen, ist das Influencermarketing. Konzerne sponsern dabei reichweitenstarke Social-Media-Nutzer, damit diese Werbung für ihre Produkte machen. Da Influencer für Millionen von Heranwachsenden eine Vorbildfunktion haben, können sie das Konsumverhalten beeinflussen.

Laut der Nichtregierungsorganisation foodwatch sind vor allem die Influencer Simon Desue, Dagi Bee, Julia Beautx, ­Laser Luca sowie Viktoria und Sarina groß in diesem Geschäft. In ihren Videos und Posts geht es z.B. um Schminktipps, Pranks oder Games. Um Werbung für Junkfood zu platzieren, denken sie sich neue Formate aus. Beliebt sind etwa „Produkttests“, Ess-Herausforderungen („24 Stunden nur Pringles Chips essen“) oder das „Unboxing“, also Auspacken von Produkten. Oft fordern die Influencer ihre Zuschauer auf, selbst etwas über das Produkt zu schreiben oder ein Foto damit zu machen. So machen Kinder sich unbewusst selbst zu Werbeträgern.

foodwatch kritisiert diese Form der Werbung scharf. „Coca-Cola, McDonald’s & Co. sabotieren die Bemühungen vieler Eltern, ihre Kinder für eine gesunde Ernährung zu begeistern,“ erklärt die Campaignerin Luise Molling. Sie fordert das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft auf, das Kindermarketing gesetzlich einzuschränken.

Freiwillige Selbstverpflichtung der Industrie ist wirkungslos

Jeder fünfte Todesfall in Deutschland ist auf ungesunde Ernährung zurückzuführen und trotzdem lässt Ministerin Klöckner den Junkfood-Konzernen freie Hand – das kann so nicht weitergehen!“ Es offenbare ein „vollkommen fehlgeleitetes Amtsverständnis“, dass die Ministerin an ihrer Strategie der freiwilligen Selbstverpflichtung von Unternehmen festhalte.

Auch Dr. Effertz empfiehlt in seiner Studie, die an Kinder gerichtete Werbung für ungesunde Lebensmittel gesetzlich zu regulieren. Marketing für ungesunde Produkte wäre seiner Meinung nach weiterhin möglich, sofern es sich in seiner Aufmachung nicht mehr an Kinder, sondern an Erwachsene richte. Zudem solle es nicht zu Zeiten platziert werden, zu denen Kinder Medien nutzen. Die höchstrichterliche Rechtsprechung habe in einigen Präzedenzfällen entschieden, dass die Kindergesundheit mehr wiege als die wirtschaftlichen Interessen der Industrie und die Meinungsfreiheit.

Seine Studie wurde u.a. finanziert von der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten, DANK, der Deutschen Diabetes Gesellschaft, dem AOK-Bundesverband, der Dia­betes Stiftung sowie fünf weiteren Fachgesellschaften und Organisationen. Auch diese Akteure fordern, politisch durchzugreifen. So möchte DANK neben einem entsprechenden Werbeverbot auch eine höhere Mehrwertsteuer auf Produkte, die zu viel Zucker oder Fett enthalten.

Die WHO ist ähnlicher Meinung: Bereits 2015 entwickelte sie mit ihrem „Nutrient Profile Model“ ein Modell für eine Werberegulierung, das sich nach dem Nährwertprofil der Produkte richtet. Dieses müsse Ernährungsministerin Klöckner nur umsetzen, betont foodwatch.

Selbst der wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz, der das Ernährungsministerium berät, fordert eine Einschränkung des Kindermarketings. In einem Gutachten zeigt er auf, dass solche Maßnahmen funktionieren: In Ländern, in denen es Werbebeschränkungen gibt, wurde zwischen 2002 und 2016 rund 9 % weniger Junkfood konsumiert. In Staaten ohne eine Regulierung stieg der Verzehr dagegen um 14 %. Auch eine freiwillige Selbstverpflichtung erhöhte den Konsum um rund 2%.

Medical-Tribune-Bericht

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