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Soziologe rät von IGeLn ab

Gesundheitspolitik Autor: Anke Thomas

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Ärzte sollten das Angebot von individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) grundsätzlich aus ihren Praxen verbannen. Dafür plädiert der Dipl.-Soz. Waldemar Streich in dem Beitrag „Über das Herunterwirtschaften des Vertrauens in Ärzte“, der in der Zeitschrift für Allgemeinmedizin veröffentlicht wurde.

Soziologe Streich begründet seinen Vorschlag damit, dass Ärzte zum Erhalt und zur Förderung des Vertrauens im Arzt-Patienten-Verhältnis verpflichtet seien. IGeL wirkten hier absolut kontraproduktiv, da u.a. der Rollenwechsel des Arztes vom medizinischen Helfer zum Verkäufer einer Dienstleistung für Patienten nirgendwo sonst offensichtlicher sei.

Probleme bleiben trotz offiziellem IGeL-Ratgeber

Auch hätten Bevölkerungsbefragungen gezeigt, dass Ärzte nicht immer sauber bzw. beanstandungsfrei über IGeL informiert hätten und Patienten frei entscheiden konnten. Der IGeL-Ratgeber der Bundes­ärztekammer in Kooperation mit  weiteren ärztlichen Organisationen habe demnach nicht wirklich dabei geholfen, dass Ärzte IGeL rechtlich korrekt und patientenfreundlich anböten.

Weiterhin seien Ärzte hierzulande in einer privilegierten Lage, denn eine nötige medizinische Behandlung sei bei dem Gros der Patienten  über die GKV finanziell abgesichert. Dies befreie die Berufsausübung von Ärzten zwar nicht völlig von ökonomischen Kalkülen, tue das aber immerhin in einem Maße, von dem Anwälte, aber auch ärztliche Berufskollegen in Ländern ohne ein solidarisch finanziertes Gesundheitssystem nur träumen könnten.

Was denken Ärzte von diesen Ausführungen des Soziologen und dem Vorschlag, gänzlich aufs IGeLn zu verzichten? Wir haben MT-Leser gefragt: Sollten alle Kollegen es unterlassen, IGeL anzubieten? Oder meinen Sie, dass IGeL nötig sind, da der Leistungskatalog der GKV und evtl. auch PKV nicht mehr ausreicht, um Patienten medizinisch optimal zu versorgen? Hier die Antworten:

Die IGeL sind nicht schuld!

Seit etlichen Jahren wird das Vertrauen bzw. das Arzt-Patienten-Verhältnis systematisch zerstört. Die Medien betreiben eine einseitige Berichterstattung, die Krankenkassen belügen ihre Versicherten über Budgets und Rabattverträge und kontaktieren Patienten hinter dem Rücken der Ärzte, um vermeintliche Behandlungsfehler aufzudecken, und die Politik versucht systematisch, die Position freier Berufe zu untergraben. Nun sollen Ärzte verpflichtet sein, dieses Vertrauen zu fördern und zu erhalten? Es ist erstaunlich, dass es uns Ärzten mehrheitlich gelungen ist, trotz aller gegenteiligen Bemühungen, weiterhin ein Vertrauensverhältnis aufrechtzuerhalten! Eine Verpflichtung kann ich hier kaum sehen. Das solidarische Gesundheitssystem funktioniert noch, weil Kollegen u.a. Leistungen umsonst erbringen. Dies wird nicht mehr lange gut gehen, aber die IGeL als Schuldigen auszumachen, ist mehr als lächerlich! Dies ist übrigens die Meinung einer Kollegin, in deren Praxis IGeL praktisch nicht vorkommen.
Katrin Asmussen, praktische Ärztin, Bochum

IGeL gehören zum Praxisalltag

Die Ärzteschaft ist gut beraten, sich einer sachlichen Diskussion zum Thema IGeL zu stellen, frei von Polemik und Ideologie, wie sie nur allzu regelmäßig von ganz bestimmter Seite herangetragen wird. Dazu gehört, dass IGeL völlig unaufgeregt in den Prozessabläufen von Praxen erscheinen. Das darf nichts mit einer Verkäufer-Mentalität zu tun haben. Der Deutsche Ärztetag hat sich wiederholt und deutlich zum – seriösen! – Umgang mit IGeL-Angeboten befasst. Von den Ärztekammern wird dies entsprechend kommuniziert (schriftlicher Behandlungsvertrag, Preise nach GOÄ, Rechnung …). In Anwendung dieser hinreichend bekannten Grundsätze gibt es keine Konfliktsituation – weder für die Patienten noch für den Arzt. IGeL sind Alltag und sollten, wenn sie sinnvoll sind, auch angeboten werden.
Dr. Werner Pötter, Facharzt für Allgemeinmedizin, Hagen

Nur mit Fingerspitzengefühl

Obwohl ich die Argumentation des Autors gut verstehe und sogar in weiten Bereichen teile, möchte ich die IGeL-Frage doch differenzierter sehen, und zwar individuell: Jeder Arzt hat eine andere Mentalität. Mir selbst z.B. liegt es überhaupt nicht, meinen Patienten etwas „zu verkaufen“; aber ich habe Kollegen, die können das auf ganz natürliche, ungezwungene Weise, ohne dass das Vertrauensverhältnis zu den Patienten belastet wird. Wer dabei Grenzen beachtet und das nötige Fingerspitzengefühl mitbringt, der sollte ruhig IGeL anbieten. Wem das innerlich gegen den Strich geht, der soll es bleiben lassen. Verurteilen muss man aber alle Auswüchse, bei denen die Abhängigkeit und Unwissenheit der Patienten ausgenutzt wird – vor allem, wenn diese ohne Rücksicht auf ihre finanzielle Situation „ausgenommen“ werden.
Dr. Wolfgang Vreemann, Innere Medizin (im Ruhestand), Marienheide

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