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Spagat zwischen Hausarztarbeit und humanitärer Hilfe

Autor: Cornelia Kolbeck, Foto: Ärzte ohne Grenzen

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Im Mai wählte die deutsche Sektion von „Médecins Sans Frontières“ (MSF) Dr. Volker Westerbarkey zu ihrem neuen Vorsitzenden. Der 43-jährige Allgemeinmediziner, der einen Mastertitel in International Health hat, spricht über seine Tätigkeit als Hausarzt sowie bei „Ärzte ohne Grenzen“.

Wie kommt ein Hausarzt dazu, einer großen Hilfsorganisation vorzustehen?
 
Dr. Westerbarkey: Ich war schon während meiner ärztlichen Weiterbildung immer wieder für MSF unterwegs, habe dann aber meine Facharztausbildung hier in Berlin zu Ende gebracht. Durch die Niederlassung war es allerdings nicht mehr möglich, für ein halbes oder sogar ein ganzes Jahr an einem Projekt im Ausland mitzuarbeiten, und so habe ich mich entschieden, mehr Vereinsarbeit zu machen. Zwischen 2004 und 2011 war ich vier Mal für „Ärzte ohne Grenzen“ im Einsatz, in Myanmar, Mozambique und Simbabwe. Zum Beispiel habe ich ein Jahr lang in einem HIV- und Tuberkulose-Projekt in Myanmar mitgearbeitet. Das lässt sich zeitlich heute nicht mehr realisieren.

Jetzt also Vereinsarbeit. Sind Sie als Hausarzt nicht ausgelastet?
 
Dr. Westerbarkey: Ausgelastet bin ich schon, denn ich arbeite mit zwei Kollegen in einer großen Hausarztpraxis mit Schwerpunkt Suchtmedizin im Brennpunktbezirk Berlin-Kreuzberg. Und Suchtpatienten gibt es hier viele. Allerdings bin ich nur mit einer halben Stelle niedergelassen und ich nutze zum Teil meinen Urlaub und die Wochenenden für meine ehrenamtliche Tätigkeit. So kommen auf drei bis vier Tage Hausarztarbeit zwei bis drei Tage für den Verein.

Welche Arbeit sagt Ihnen mehr zu, die professionelle oder die ehrenamtliche?
 
Dr. Westerbarkey: Um ehrlich zu sein, gefällt mir gerade die Kombination. Auf der einen Seite macht es mir Spaß, mit Patienten Kontakt zu haben und nicht zu sehr ins Theoretische abzugleiten. Auf der anderen Seite denke ich gern über größere Zusammenhänge nach. Der Spagat zwischen hausärztlicher und ehrenamtlicher Tätigkeit geht aber nur, wenn die Kollegen dahinterstehen. In unserer Gemeinschaftspraxis ist das so. Das Verständnis für mein Ehrenamt ist groß. Meine Kollegin war selbst schon für MSF im Einsatz.

Eine reine Hausarztarbeit, zum Beispiel als Landarzt, würde Sie nicht reizen?
 
Dr. Westerbarkey: Nein, das kann ich mir aufgrund meiner Erfahrung mit „Ärzte ohne Grenzen“ nicht vorstellen. Die Jahre im Ausland haben mich schon geprägt.

Was zeichnet „Ärzte ohne Grenzen“ als Hilfsorganisation aus?
 
Dr. Westerbarkey: Uns gibt es schon seit mehr als 40 Jahren. Wir sind eine relativ große Organisation mit effizienten Strukturen und Lagerkapazitäten in Bordeaux und Brüssel. Das ermöglicht es, in Notsituationen innerhalb von Stunden ein Team und eine Flugzeugladung an Hilfsmaterialien zusammenzustellen. Unsere Erfahrungen sind die Stärken, auf die wir zurückgreifen können.

Wie ist das Verhältnis zwischen den beteiligten Berufen?
 
Dr. Westerbarkey: Etwa ein Drittel sind nicht medizinische Berufe. Das ist nötig, weil unsere Einsätze viel Verwaltung und Logistik erfordern. International arbeiten wir zurzeit mit 3400 Medizinern in Projekten in rund 70 Ländern, unter anderem im Kongo, im Südsudan und in Syrien. Die meisten unserer Ärzte kommen dabei aus dem Krankenhaus, denn dort ist es eher möglich, sich durch Verträge oder Arbeitsplatzwechsel eine längere Auszeit zu nehmen.

Wie lang dauern solche Auszeiten in der Regel?
 
Dr. Westerbarkey: Die ersten Einsätze dauern zwischen neun und zwölf Monate, es kommt aber auch auf die Fachrichtung an. Chirurgen und Anästhesisten zum Beispiel werden oft auch für kürzere Einsätze gebraucht. Längere Einsätze dauern bis zu zwei Jahre oder mehr.

Werden die Einsätze bezahlt?
 
Dr. Westerbarkey: Anfangs beträgt die Aufwandsentschädigung etwa 1400 Euro monatlich. Sie steigt je nach Einsatzjahren und Vorerfahrung an. Zudem übernimmt die Organisation die Kosten für alle Sozialversicherungen, die Reise sowie für Unterkunft und Verpflegung vor Ort. Und es gibt zusätzlich ein Taschengeld von einigen hundert Euro monatlich.

Ärzte ohne Grenzen engagiert sich unter anderem im Kampf gegen HIV und Tuberkulose. Wie nachhaltig ist diese Arbeit?
 
Dr. Westerbarkey: Das ist eine der großen Herausforderungen für uns. Wir sind ja keine Entwicklungshilfe-, sondern eine Nothilfeorganisation. Bei unseren Einsätzen haben wir dennoch immer im Blick, wer unsere Arbeit später übernehmen kann. Gerade bei HIV und Tuberkulose ist das auch sinnvoll. Wir schulen Mitarbeiter von lokalen Gesundheitseinrichtungen und bemühen uns, die Arbeit schnell zu übergeben. Doch das gelingt nicht immer und Einsätze dauern länger als geplant.

Wie finanziert sich das alles?
 
Dr. Westerbarkey: Das geht vor allem über private Spenden. Diese machen in Deutschland mehr als 90 % der Einnahmen aus. Der geringe Satz öffentlicher Gelder garantiert uns Unabhängigkeit in den Entscheidungen.

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